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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Konservativ (soziobiologisch)

Spekulation

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Basiswissen


Konservative politische Strömungen bezeichnen sich selbst oft als bewahrend. Dabei sind sie nicht selten die treibenden Katalysatoren für den Niedergang traditioneller Lebensweisen. Zwei unterschiedliche soziobiologische Deutung könnten diese Paradoxon möglicherweise erklären. Das ist hier als spekulativer Gedanke vorgestellt.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Gemeinsam gegen eine Bedrohung von außen: der Kernreflex konservativen Denkens, hier auf einem Plakat aus dem Jahr 1951. Die Darstellung der hünenhaften Männer im Gegensatz zu den verzerrt entmenschlichten Angreifern erinnern in trauriger Weise an die Ästhetik nationalsozialistischer Rassenpropaganda, zeigen aber möglicherweise auch eine gemeinsame Unterströmung konservativen und populistischen Denken an. © Frühsorge ☛


Ein 1970er-Jahre konservativer Mikrokosmos =====

Mein Bild von konservativ entstand in der ersten Hälfte der 1970er Jahre in einer Kleinstadt nahe Hanau am Main bei Frankfurt. Von einigen Verwandeten hieß es, sie wählten stets „streng konservativ“. Damit gemeint waren Personen geboren zwischen den Jahren 1900 bis 1910. Diese konservativen Figuren waren arbeitssam, bescheiden, natur- und ortsverbunden. Sie lebten in einer Welt, in der alle Geschäfte um 18.30 Uhr schlossen (samstags um 14.00 Uhr), in der man zwischen 12.00 und 15.00 niemanden anrief und auch nicht den Rasen mähte (Mittagsruhe) und die Sonntage meist beschaulich (bis langweilig) im Familienkreis zubrachte. Man kaufte aus Verbundenheit seit Jahrzehnten in denselben kleinen Geschäften (auch dann, wenn die Qualität nicht stimmte). Kredite von der Bank aufzunehmen war sozial verpönt, das „macht man nicht“. Geld das man nicht hatte, gab man auch nicht aus. Und es wurde stets für „schlechte Zeiten“ vorgesorgt. Der Keller war immer voll mit eingemachter Marmelade aus selbst angebautem Obst. Als Kind lernte ich in dieser Welt kleine Gebete aufzusagen und ich ging in die „Sonntagsschule“. Und es gab viele Vereine im Ort: schwimmen, Vogelschutz, Handball, Schach, Spielmannszug, Fasching, Jungschar, Pfadfinder etc. etc. Getragen wurden diese Vereine von ehrenamtlich tätigen Menschen, die oft ihre ganze Freizeit darauf verwendeten. Überall in der Stadt gab es kleine Geshäfte (Edeka, Spar, Kioske, Schreibwaren, Bäcker, Metzger, Radios, Eisenwaren, Blumen etc.). Viele Grundstücke waren unbebaut und mit Obstbäumen bewachsen. Auf Seitenstraßen herrschte weitgehend Parkverbot, alte Filme aus der Zeit zeigen Straßen ohne „ruhenden“ Verkehr. Das Stadtbild war noch stark geprägt von örtlichen Baumaterialien (Sandstein, rote Dachziegel), in den angrenzenden Wäldern konnte man ausgedehnt spazieren gehen ohne auf Straßen zu stoßen. Und man wählte zuverlässig christdemokratisch (CDU). Das Paradoxon ist, dass es vor allem die Politik dieser konservativen CDU, die diese Welt mit abschaffte.

Liberalisierte Ladenöffnungszeiten zerstückeln Lebensrhythmen


In Deutschland gab es im 19ten Jahrhundert keine nennenswerten Gesetze zur Regelung der erlaubten Ladenöffnungszeiten. Im Jahr 1900 gab es im damaligen deutschen Reich dann erstmals eine gesetzliche Beschränkung auf die Zeit von 5.00 bis 21.00 Uhr. Im Jahr 1919 wurden dann die Sonntage beschränkt. An Werktagen durften die Geschäfte dann nur von 7.00 bis 19.00 Uhr öffnen. In der NS-Zeit wurde die Schließungszeit dann weiter begrenzt auf 18.30 Uhr. Diese Regelung galt bis 1996.

Selbstzuschreibungen

  • Leitkultur, Deutschland den Deutschen, America First (Gruppenegoismus)
  • Menschen jetzt helfen (Katastrophen)
  • Nach vorne blicken (nicht etwa analysierend, etwa Adenauer)
  • Pragmatisch
  • Ideologiefrei
  • Familienfreundlich
  • Die Mehrheit, die Mitte
  • Wertkonservativ
  • Ett hätt noch ömmer jut jejahn
  • Ett kütt wie ett kütt
  • Der Mensch denkt, Gott lenkt

Beschreibungen

  • Freier Handel
  • Kleinbürgerliche Freiheit
  • Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit
  • Bigott (Dekameron)
  • Angst

Paradoxien

  • Ladenöffnungszeiten zerstören Kirche und Familie
  • Niedrilohnsektor zerstört Familien
  • Naturlandschaft als Heimat von Gewerbegebieten zerstört
  • Kettenunternehmen statt landsmannschaftliche Bauweisen

Erklärungsversuch I: Kampfgruppen

  • Gruppenegoismus
  • Kampfgesellschaften
  • Nationalsozialismus

Erklärungsversuch II:

  • Sozialer Organismus

Zitate zum Konservatismus


  • Roger Scruton: „Der Konservatismus setzt auf historische Verbundenheit, auf lokale Identität und auf jene Art von Langzeitbeziehung, die zwischen Menschen entsteht, die ihre Neigungen an einen bestimmten Ort und innerhalb eines wohldefinierten Rahmens ausleben.“[6]
  • Roger Scruton: „Die Weiden, Hecken, Gebüsche, Wäldchen und Bäche Großbritanniens wurden nicht gesetzlich geschützt, eben weil die Menschen sie liebten. Das Eigeninteresse derer, denen das Land gehörte und die es bebauten, sorgte für diesen Schutz. Weidewirtschaft, historische Wegerechte und Grenzsteine, die verbreiteten britischen Feldsportarten und die lokale Nahrungsmittelökonomie, bei der Milch und Käse auf den Märkten angeboten wurden, lagen wie eine unsichtbare Hand schirmend über ihnen.“[6]

Fußnoten


  • [1] Walter Lippmann: Die öffentliche Meinung. Wie sie entsteht und manipuliert wird. Mit einer Einführung von Walter Ötsch und Silja Graupe. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-86489-223-3. Übersetzung des englischen Klassikers "Public Opinion" aus dem Jahr 1922.
  • [2] R. McDermott, P. K. Hatemi: To Go Forward, We Must Look Back: The Importance of Evolutionary Psychology for Understanding Modern Politics. Evolutionary Psychology, 16(2). 2018. https://doi.org/10.1177/1474704918764506
  • [3] Howard Bloom: The Global Brain: The Evolution of Mass Mind from the Big Bang to the 21st Century. Wiley, 2000, ISBN 978-0-471-29584-6; deutsch: Global brain : die Evolution sozialer Intelligenz / Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Florian Rötzer. DVA, 1999, ISBN 978-3-421-05304-6. Siehe auch Howard Bloom ↗
  • [4] Neue Ladenschlusszeiten in NRW - Kirchen und Gewerkschaften protestieren. So lasst das Einkaufen beginnen. In: Domradio.de vom 10. November 2006. (In dem Radiobeitrag werden die Folgen für das Familien-, Parteien-, Vereins- und Kirchenleben beschrieben.)
  • [5] Roger Scruton: The Meaning of Conservatism. 1980.
  • [6] Roger Scruton: Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz. Diederichs Verlag. München 2013. ISBN: 9783424350845.
  • [7] Soziologische Theorien sowie die umfangreichen Befragungen etwa in Wohnzimmern und Kneipen kommen zu einem Fazit: die bürgerliche seht sich nach besseren alten Zeiten zurück: Daniel Mullis: Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten. Die Regression der Mitte. Reclam Verlag. 2024. 336 Seiten. ‎ISBN: 978-3150114698.