Dreikörperproblem
Ungelöst
Basiswissen
Das Dreikörperproblem der Himmelsmechanik besteht darin, eine Lösung (Vorhersage) für den Bahnverlauf dreier Körper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehung (Gravitation) zu finden. Um quantitative Resultate zu erlangen, muss es im allgemeinen Fall bislang numerisch (geschicktes Probieren) gelöst werden.
Der Polarstern als Beispiel
Der Polarstern, auch Nordstern genannt, ist mit bloßem Auge gut sichtbar und das ganze Jahr über am europäischen Nachthimmel zu sehen. Der Polarstern erscheint uns als ein Stern, besteht aber tatsächlich aus drei einzelnen Sonnen, die sich gegenseitig umkreisen. Die Berechnung ihrer Bahnverläufe wäre ein klassisches Dreikörperproblem. Sieh auch Polaris ↗
Das Dreikörperproblem galt seit den Entdeckungen von Johannes Kepler und Nikolaus Kopernicus als eines der schwierigsten mathematischen Probleme, mit dem sich im Laufe der Jahrhunderte viele bekannte Mathematiker beschäftigten[2]. Im allgemeinen Fall erfolgt die Bewegung chaotisch und kann nur numerisch oder durch andere Näherungen berechnet werden. Siehe auch Forschungsfragen ↗
Das Dreikörperproblem in der Chaostheorie
Joachim Bublath war als Wissenschaftsautor seit den 1970er Jahren in Deutschland sehr bekannt. Er schrieb unter anderem ein sehr gut verständliches Buch über die Chaostheorie[1]. Zum Dreikörperproblem schrieb er: "Grundsätzlich bleibt das Dilemma bestehen, dass wir nur für die voneinander abhängige Bewegung von zwei Körpern - wie etwa die Bewegung eines einzelnen Planeten um die Sonne - eine Lösung für die Bewegungsgleichungen finden und eine mathematische Funktion dafür angeben können. Sind drei Körper beteiligt, ist das schon nicht mehr möglich, man muss Spezialfälle betrachten und sich auf gewagte Näherungen einlassen, um diese Probleme mathematisch überhaupt behandeln zu können." Man muss sich das deutlich machen: sind zwei oder mehr Körper gegenseitig über ihre Gravitationskrft miteinander verbunden, kann man ihre Bewegungen prinzipiell nicht mehr genau voraussagen. Gebilde wie Galaxien bestehen aber aus über 100 Milliarden gravitativ miteinander verbundenen Sternen. Hier kann man nur auf die von Bublath genannten Näherungslösungen oder Simulationen zurück greifen. Siehe auch Näherungsverfahren ↗
Das Dreikörperproblem für Stöße
Das Dreikörperproblem tritt auch im Zusammenhang mit vollkommen elastisch gedachten Stößen von Körpern, etwa Kugeln auf. Das hat unter anderem der englische Mathematiker und Nobelpreisträger Roger Penrose näher betrachtet: stoßen drei Kugeln zu einem exakt gleichen Zeitpunkt aufeinander, kann man nicht berechnen, mit welchen Geschwindigkeiten oder in welchen Richtungen sie sich trennen. Im Kugelmodell herrscht damit ein sogenannter Indeterminismus, eine nicht Bestimmbarkeit der zukünftigen Zustände.[4] Siehe auch Dreifachstoß ↗
Die philosophische Bedeutung des Dreikörperproblems
Nachdem Isaac Newton (1642 bis 1727) das Fundament für die klassische Mechanik gelegt hatte, gewann die Idee einer durch und durch als mechanisch denkbaren Welt immer mehr Anhänger. Der Grundgedanke war, dass alles nur aus materiellen Teilchen besteht und dass die Bewegung dieser Teilchen ganz den Gesetzen Newtons unterliegen:
ZITAT:
"Mit einem speziellen Kraftgesetz […] entsteht aus dem Newtonschen Regelwerk ein präzise festgelegtes System von dynamischen Gleichungen. Werden die Positionen, Geschwindigkeiten und Massen der verschiedene Teilchen zu einer Zeit vorgegeben, so sind ihre Positionen und Geschwindigkeiten […] für alle späteren Zeiten mathematisch determiniert."[5]
"Mit einem speziellen Kraftgesetz […] entsteht aus dem Newtonschen Regelwerk ein präzise festgelegtes System von dynamischen Gleichungen. Werden die Positionen, Geschwindigkeiten und Massen der verschiedene Teilchen zu einer Zeit vorgegeben, so sind ihre Positionen und Geschwindigkeiten […] für alle späteren Zeiten mathematisch determiniert."[5]
Stellt man sich nun die Welt so vor, als sei sie letztendlich aus vielen kleinen, mehr oder minder kugeligen Teilchen aufgebaut, so gelangt man zur sogenannten "Newtonschen Billardkugelbild der Welt" oder kurz einer "Billardkugelwelt"[4, Seite 164]. Und eine so gedachte Billardkugelwelt "wäre tatsächlich ein deterministisches Modell"[4], aber nur "wenn man das Mehrfachstoßproblem ignoriert"[4]. Das heißt im Umkehrschluss, dass Mehrfachstöße im Sinne der klassischen Mechanik Newtons eine strikte Determiniertheit der Welt zweifelhaft erscheinen lassen. Schließt man aber Mehrfachstöße aus, so ist die Welt determiniert. Und diese Determiniertheit hat Folgend für das Geistartige und einen Freien Willen:
ZITAT:
"Demnach scheint es in dieser Billardkugelwelt keinen Platz für einen „Geist“ zu geben, der das Verhalten materieller Dinge durch Ausüben seines „freien Willens“ beeinflußt. Wenn wir an den „freien Willen“ glauben, sind wir anscheinend gezwungen, zu bezweifeln, daß unsere wirkliche Welt auf diese Weise [als Billardkugelwelt] aufgebaut sein kann."[4, Seite 164]
"Demnach scheint es in dieser Billardkugelwelt keinen Platz für einen „Geist“ zu geben, der das Verhalten materieller Dinge durch Ausüben seines „freien Willens“ beeinflußt. Wenn wir an den „freien Willen“ glauben, sind wir anscheinend gezwungen, zu bezweifeln, daß unsere wirkliche Welt auf diese Weise [als Billardkugelwelt] aufgebaut sein kann."[4, Seite 164]
Was Penrose das Dreikörperproblem von Stößen gesagt hat, gilt auch für das Dreikörperproblem von gravitativ aneinander gebundener Himmelskörper. Der größere philosophische Problemkreis, der hier angerisen wurde, ist das sogenannte Geist-Körper-Problem ↗
Fußnoten
- [1] Joachim von Bublath: Chaos im Universum. Droemersche Verlagsanstalt. München. 2001. 232 Seiten. ISBN: 3-426-27193-1. Die Kernaussage des Buches: Die Abläufe im Universum sind aus mehreren Gründen prinzipiell vorausberechenbar sondern im Wesen chaotisch. Naturwissenschaft ist beschränkt auf wenige und kleine "Inseln der Ordnung". Zum Dreikörperproblem dort siehe die Seite 68.
- [2] 1861, mathematisch nicht exakt lösbar: "Problem der drei Körper, astronomische Aufgabe, die Bewegung eines Planeten um die Sonne, auf welchen ein anderer Planet störend einwirkt, zu bestimmen. Wenn nämlich jeder einzelne Planet nur von der Sonne angezogen würde, so würde er eine vollkommene Ellipse beschreiben; da er aber außerdem von sehr vielen andern gleichfalls zum Sonnensystem gehörigen Planeten angezogen wird, so wird diese Ellipse auf das Mannigfaltigste abgeändert. Die Bestimmung der hieraus resultirenden Bahn würde nach dem gegenwärtigen Stande der Mathematik völlig unmöglich sein, wenn nicht jede von einem andern Planeten herrührende Störung wegen der weit überwiegenden Sonnenmasse sehr gering wäre. Da dies aber so ist, so ist es erlaubt, die Störungen abgesondert zu betrachten, welche ein Planet von jedem andern einzeln erfährt, noch dazu unter der Voraussetzung, daß dieser andere Planet eine reine Ellipse beschriebe, u. dann sämmtliche Störungen zu summiren, u. so ist die allgemeine Aufgabe der Berechnung der Bahnen in unserm Sonnensystem auf das berühmte P. d. d. K. zurückgeführt. Auch eine allgemeine Lösung dieser Aufgabe übersteigt noch weit die Kräfte unserer Analysis; jedoch namentlich wegen der geringen Excentricität u. Neigung der Planetenbahnen u. verhältnißmäßig kleinen Masse u. großen gegenseitigen Entfernung der Planeten ist es wenigstens näherungsweise gelungen, dieselbe zu lösen." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 609. Online: http://www.zeno.org/nid/20010684360
- [3] The Three-Body Problem and the Equations of Dynamics: Poincaré’s Foundational Work on Dynamical Systems Theory (Übersetzer Bruce D. Popp), Springer 2017.
- [4] Der Mathematiker Roger Penrose schreibt zum Dreikörperproblem zu Kugeln im Zusammenhang mit einer möglichen mechanistisch begründeten Determiniertheit der Welt: "In unserem Modell herrscht Indeterminismus, sobald exakte Dreifachstöße auftreten". Und: "das mögliche Problem mit Dreifachstößen bedeutet, daß das daraus resultierende Verhalten vielleicht nicht auf stetige Weise vom Anfangszustand abhängt." In: Roger Penrose: Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Englischer Originaltitel: The Emperor's New Mind (1989). Deutsche Ausgabe: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Heidelberg. 1991. ISBN: 3-89330-708-7. Dort das Kapitel "5. Die Klassische Welt", Seite 163. Siehe auch Dreifachstoß ↗
- [5] In: Roger Penrose: Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Englischer Originaltitel: The Emperor's New Mind (1989). Deutsche Ausgabe: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Heidelberg. 1991. ISBN: 3-89330-708-7. Dort das Kapitel "5. Die Klassische Welt", Seite 162. Siehe auch Determinismus ↗