Verhältnis (historisch)
1844
Definition
Ein Mathematik-Lehrbuch aus dem Jahr 1844 definiert das mathematische Verhältnis ausführlich und anschaulich. Hier steht zunächst das vollständige Zitat. Die Textstelle wird anschließend kurz aus Sicht der Mathematik des 21ten Jahrhunderts eingeordnet.
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Originalzitat[1]
Ein Verhältnis zweier Zahlen ist die Angabe der Bildung einer aus der andern vermittelst einer dritten zahl. Die Bildung geschieht vermöge der 4 Specien: wird sie druch Addition oder Subtraktion ausgeführt, so heißt das Verhältnis der Zahlen ein Arithmetisches, durch Multiplikation oder Division, so heißt es ein geometrisches Verhältnis. Da die Division als Multiplikation angesehen werden kann, so kann man ein geometrisches Verhältnis wie folgt definieren: ein geometrisches Verhältnis zweier Zahlen ist ein solches, in welchem die eine aus der andern vermöge de Multipliation mit einer dritten Zahl erzeugt wird.
Die Zahlen, welche in ein Verhältnis zu einander gesetz werden, heißen die Glieder derselben (Vorder- und Hinterglied).
Die Die Zahl, mit welcher man das eine Glied multipliziert, um das andere hervorzubringen, heißt der Verhältnis-Name, Verhältnis-Anzeiger, auch Verhältnis-Quotient.
Da man nun sowohl das Vorderglied aus dem Hintergliede, als auch umgekehrt das Hinterglied aus dem Vordergliede ableiten kann, so muß man bestimmt erklären, welches von Beiden geschehen soll. Gewöhnlich bildet man das Hinterglied aus dem Vorderglied, daher stellen wir den Satz: Das Hinterglied ist gleich dem Produkte aus dem Vordergliede und dem Verhältnis-Quotienten, für die Folge als fest auf; und hieraus ergiebt sich unmittelbar der folgende Satz: Der Verhältnis-Quotient ist gleich dem Hintergliede, dividiert durch den Verhältnis-Quotienten.
Anmerkung: Sind die Glieder eines Verhältnisses gegeben, und will man den Verhältnis-Anzeiger wissen, so findet man ihn durch Division des Hintergliedes mit dem Vordergliede, daher ist der Verhältnis-Anzeiger eigentlich ein Quotient und weil er in eine Verhältnisse berechnet wird, so ist er ein Verhältnis-Quotient; aus diesen Ursachen ziehe ich diese Benennug gedachter Zahl den übrigen vor; doch ist bekanntlich der name eines Begriffes unwesentlich, die richtige Vorstellung von demselben Hauptsache; man wähle also nach Beieben eien der gebräuchlichen Namen, ich werde der Kürze wegen ünftig Verhältnis = Quotient mit V.Q. bezeichnen.
Aus zwei gegebenen der drei Zahlen Vorderglied, Hinterglied und Verhältnisquotient kann man stets die dritte finden.
Die Glieder eines Verhältnisses sind gegebven, man sucht den Verhältnisquotienten derselben.
Welches ist der Verhältnisquotient in folgende Verhältnissen: 3:4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17, 18, 19 20 u.
Da der V.Q. eines Verhältnisses stets gleich dem Hintergliede dividiert durch as Vorderglied ist, so ist der V.Q. in dem Verhältnisse 3:4, := 1⅓; 3:5, 5/3 = 1⅔; 3:6, 6/3=2, u.
Einordnung
Soweit das Originalzitat aus dem Buch. Die Ausführungen erstrecken sich noch über mehrere Seiten. Das gesamte Buch umfasst über 500 Seiten. Auf ihnen wird ausführlich der anschauliche Sinn der grundlegenden Rechenarten erklärt. Es fällt auf, dass der Term 3:6 nicht als 0,5 sondern als 2 gedeutet wird. Dies steht in direktem Gegensatz zum späteren Gebrauch, bei dem 3:6 eindeutig nur gedeutet wird als 3 geteilt durch 6.
Fußnoten
- [1] Samuel Eduard Baltrusch: Das Kopf- und Ziffer-Rechnen. Theoretisch und praktisch nach der Methode vom Einfachen zum Zusammengesetzen mit besonderer Berücksichtigung der Decimalbrüche und der Raumgrößen behandelt, zum Gebrauche für Stadt- und Landschulen und zur Selbstbelehrung. Verlag der Gebrüder Bornträger. 1846. Seite 169 ff.
- [2] In einem Kunstlexikon aus dem Jahr 1774: "Verhältniß. (Schöne Künste) Die Größe oder Stärke eines Theils in so fern man ihn mit dem Ganzen, zu dem er gehört, vergleicht. Größe und Stärke sind unbestimmte Dinge, die unendlich wachsen und unendlich abnehmen können. Man kann von keiner Sache sagen, sie sey groß oder klein, stark oder schwach, als in so fern sie gegen eine andre gehalten wird. In einem Gegenstande der aus Theilen besteht, herrscht ein gutes Verhältniß der Theile, wenn keiner in Rüksicht auf das Ganze, weder zu groß noch zu klein ist. […] Das Verhältniß sezt zwey Größen voraus, weil es in Vergleichung oder Gegeneinanderhaltung derselben besteht. Nun kommt es bey der Größe jedes Theils darauf an, mit was für einer andern Größe man sie vergleichen solle. Sind diese Größen zu weit aus einander, so hat ihre Gegeneinanderhaltung nicht mehr statt. Man vergleicht die Größe des Mundes oder der Nase, wol mit der Größe des Gesichts, aber nicht mit der Größe der ganzen Statur. " In: Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1214-1216. Online: http://www.zeno.org/nid/20011450398
- [3] Die mathematische Idee von einem Verhältnis, 1857: "Verhältniß, in der Mathematik bei der Vergleichung zweier gleichartiger Größen die Beziehung derselben zu einander hinsichtlich ihrer Größe. Die beiden Größen heißen die Glieder des Verhältnisses. Das Verhältnis heißt ein arithmetisches, wenn die Vergleichung durch Subtraction geschieht (15–5), wo es sich also fragt, um wie viel die eine Größe größer ist, als die andere; ein geometrisches, wenn die Vergleichung durch Division geschieht (15 : 5), wo gefragt wird, wie viel mal die eine Größe größer ist als die andere." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 609-610. Online: http://www.zeno.org/nid/20003556700
- [4] Ausführlich in einem Lexikon aus dem Jahr 1864: "Verhältniß, 1) der allgemeinste Ausdruck dafür, daß gleichartige Begriffe, Dinge od. Ereignisse nicht einzeln betrachtet werden, sondern insofern sie in Beziehung zu einem anderen stehen. […] 2) (Math.), die Angabe durch Zahlen, wie unter zwei gleichartigen Größen die eine aus der anderen entsteht. Die hierzu nothwendige Vergleichung beider Größen kann von einem doppelten Gesichtspunkte ausgehen: man fragt entweder um wie viel, od. wie viel Mal ist die eine größer od. kleiner als die andere; im ersten Falle erhält man ein arithmetisches, im zweiten ein geometrisches V. Die beiden verglichenen Größen heißen Glieder. Beim arithmetischen V. fragt man nach dem Unterschied, beim geometrischen V. nach dem Quotienten beider Glieder; daher wird ein arithmetisches V. durch Benutzung des Zeichens –, ein geometrisches durch: geschrieben. Die durch die Subtraction od. Division gefundene Größe heißt der Name od. Exponent, beim geometrischen auch der Quotient des V-es. Auch nennt man, die erste der beiden verglichenen Größen das Vorderglied, die zweite das Hinterglied des V-es. Ist das V. zwischen zwei Gliedern dem zwischen zwei anderen gleich, so erhält man durch ihre Zusammenstellung eine Proportion (s.d.), z.B. ist 14–9 = 11–6 eine arithmetische, 18:6 = 30:10 eine geometrische Proportion. Unter V. schlechthin ohne ausdrückliche Angabe, welches von beiden genannten Arten gemeint sei, versteht man immer das geometrische. Sind nun, wie dies in der angewendeten Arithmetik immer der Fall ist, die Glieder nicht reine Zahlen, so muß man die Erklärung des Wortes streng so fassen V. ist der Quotient der beiden Zahlen, welche angeben, wie oft ein gemeinschaftliches Maß in beiden Größen enthalten ist. Hieraus folgt, daß man zunächst nur bei commensurabeln Größen, welche ein gemeinschaftliches Maß haben, von V. sprechen kann, u. daß zwischen incommensurabeln eigentlich kein V. besteht. Da dies aber in der Wissenschaft von räumlich od. zeitlich ausgedehnten Größen (Geometrie u. Physik) der Allgemeinheit der Lehrsätze großen Eintrag thun würde, so ist man übereingekommen auch zwischen letzteren den Ausdruck V. zu statuiren u. sagt, daß das V. zweier incommensurabler Größen dem zweier anderer gleich sei, wenn die erste Größe zu einer von der zweiten beliebig viel, u. auch noch so wenig verschiedenen commensurabeln Größe sich nicht so verhalten könne, wie die dritte zu der vierten. In diesem Sinne ist z.B. das V. zweier Parallelogramme Von gleicher Höhe gleich dem V. ihrer Grundlinien, auch wenn diese incommensurabel sind. Um nun auch mit dem V. zweier incommensurabler Größen weiter rechnen zu können, setzt man dafür ein sogenanntes genähertes V., d.i. das V zweier commensurabler, welche von jenen so wenig als man will verschieden sind. So ist z.B. das V. zwischen Durchmesser u. Kreisumfang genähert ausgedrückt durch 1 : 3,14159 Ein V. heißt aus mehreren anderen zusammengesetzt, wenn sein Vorderglied das Product der Vorderglieder u. sein Hinterglied das Product der Hinterglieder der letzteren ist; diese letzteren heißen dann in Bezug auf das zusammengesetzte V. die Theilverhältnisse; z.B. entsteht aus den Theilverhältnissen a : b, i : k, m : n das zusammengesetzte V. aim : bkn." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 473-474. Online: http://www.zeno.org/nid/20011206462
- [5] Verhältnis mathematisch, 1909: "Verhältnis, im allgemeinen die Beziehung des einen auf ein andres. Daher ist eine Verhältnisbestimmung eine solche, die einem Ding oder einem Begriff nicht an sich selbst, sondern nur in seiner Beziehung auf ein andres, oder vermöge einer Vergleichung mit dem letztern zukommt. Verhältnisbegriffe oder korrelate Begriffe heißen insbes. solche, die einander wechselseitig erfordern und bedingen, wie z. B. groß und klein, rechts und links, Gatte und Gattin etc. – In der Mathematik versteht man unter V. das Ergebnis der Vergleichung zweier gleichartiger Größen, die man die Glieder des Verhältnisses nennt. Man kann nun fragen, um wie viel das eine Glied größer ist als das andre; dies gibt zwischen den beiden Gliedern a und b das arithmetische V. (die Differenz a-b). Fragt man aber, wie vielmal das eine Glied so groß ist wie das andre, so erhält man das geometrische V. (den Quotienten) a: b oder a/b, Ein V. heißt steigend (zunehmend), wenn das zweite Glied größer ist als das erste, z. B. 5–7 oder 5: 7, im entgegengesetzten Fall fallend (abnehmend). Gewöhnlich versteht man unter V. schlechtweg das geometrische. Der Ausdruck für die Gleichheit zweier Verhältnisse ist eine Proportion (s. d.)." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 75. Online: http://www.zeno.org/nid/20007643799