Kollektive Lernmaschine
Soziobiologie
Basiswissen
Der US-amerikanische Schriftsteller Howard Bloom (geboren 1943) betrachtet soziale Gebilde wie Bakterienkolonien, Tierherden aber auch Menschen als Bestandteil einer kollektiven Intelligenz, die er auch als Global Brain[1] oder als Lernmaschine[1, Seite 79] bezeichnet. Kennzeichnend für Bloom Theorien ist die Synthese von Befunden aus verschiedensten Fachgebieten.
Die kollektive oder Lernmaschine
Eines von vielen Beispielen für seine sozialen oder kollektiven Lernmaschinen sind Vogelschwärme. Bloom stellt die Frage: "Warum […] werden Vögel überhaupt von dem Drang hypnotisiert, sich einer Menge anzuschließen[3, Seite 74]"? Bloom verwirft zunächst die Vermutung, dass Vögel dies aus energetischen Gründen tun, um im Winter nämlich durch die körperliche Nähe Energie zu sparen. Mit einem Zitat argumentiert er, dass die Vögel mehr Energie verbrauchen, um täglich von ihrem Futterplatz zur gemeinsamen Schlafstelle pendeln, als dass sie aufwenden müssten, um alleine in einer Höhle zu übernachten. Warum also, so Bloom, kommen die Vögel dann in einer "Megalopolis" zusammen? Zum Beispiel, um voneinander zu lernen, so Bloom. In einem Experiment wurde eine junge Amsel so in einem Käfig neben einer älteren Amsel gesetzt, dass der junge Vogel zwar die ältere Amsel sehen konnte, aber nicht was außerhalb des Käfigs passierte. Dann wurde der älteren Amsel ein lebensbedrohlicher Feind nahebracht, eine Eule. Die junge Amsel konnte die Eule nicht sehen, sah aber, wie das ältere Tier fürchterlich in Zorn geriet und etwas attackierte. Zeitgleich zeigten Forscher der jungen Amsel einen harmlosen anderen Vogel (einen Honigesser). Bald hatte die junge Amsel "gelernt", dass Honigesser wohl zu Attacken verleiten sollten. Und sie begann aggressiv auf Honigesser loszugehen, wenn sie diese gezeigt bekamen. Bloom deutet diese Lernen durch Nachahmung als eine Art "Synapse, […] die es einer Information ermögichte, die Kluft zwischen einem Lebewesen und einem anderen zu überspringen[3, Seite 76]". Bloom zitiert dann Wissenschaftler[5], die die Schlafstellen sozialer Vögel als ein "Informationzentrum" deuten. Raben würden über ihre Schlafstelle Informationen darüber austauschen, wo es gute Futterstellen gibt. Auch das "soziale Auffliegen" von Schwärmen, so Bloom, sei eine Informationsübermittlung für weiter entfernte Artgenossen, bis hin zu "30 Meilen" Entfernung. Bloom entwickelt den Gedanken weiter, dass er viele solche Beispiele an der "empirischen Front" gesammelt haben, um dann "große Datenmengen durch zahlreiche Siebe rieseln zu lassen, um die Goldstücke herauszufiltern." Diese Goldstücke sind schlussendlich die fünf Grundprinzipien von sozialen Lernmaschinen, die Bloom in einem eigenen Kapitel ausführlich beschreibt[3, Seite 79].
Die 5 Teile einer bloomschen kollektiven Lernmaschine
Eusoziale Bienen und komplexe Blüten
Flache Blüten mit einer Radialsymmetrie (z. B. sternförmig) sind für Insekten leicht ausnutzbar. Die Tiere können von allen Seiten landen, und erreichen leicht den Nektar. Ein Beispiel für eine solche einfache, simple Blüte ist der Mohn[8]. Anders sieht es etwa bei den Blüten der Minze- oder Erbsenarten[9] aus. Hier bilden die Blüte eine Achsensymmetrie aus und können nicht mehr von allen Seiten angeflogen werden. Auch gewundene Formen der Blütenblätter, z. B. als Lippenblüten, erschweren den Zugang der Bienen zum Nektar, etwa dadurch, dass die Blüten von unten angeflogen werden müssen. Doch welchen evolutionären Nutzen haben die Pflanzen davon?[10] Der Nutzen für die Pflanzen liegt darin, dass sich Insekten auf ihre spezielle Blütenform spezialisieren müssen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Inseken bevorzugt Pflanzen dieser Art anfliegen. Und das wiederum steigert die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Bestäubung[11]. Als Lohn für den erhöhten Aufwand erhalten die Insekten mehr Nektar als bei leichter zugänglichen Blüten. Die Handhabung einer komplexen Blüte muss durch die Bienen oft aufwändig erlernt werden, was mit einer technologischen Innovation bei Menschen verglichen werden kann. Auch die Nutzung von Werkzeugen oder der Ackerbau fordern erst einen hohen Lernaufwand bevor der erhöhte Nutzen sich bemerkbar macht[12]. Es sind aber gerade eusoziale Insekten, so das Argument, die den einzelnen Individuen genug (Lebens)Zeit geben, um schwierige Fähigkeiten wie die Handhabung komplexer Blüten zu erlernen. Ein Beispiel für eine Pflanze mit einer komplexen Blüte ist die Wald-Platterbse ↗
Fußnoten
- [1] Howard Bloom: The Global Brain: The Evolution of Mass Mind from the Big Bang to the 21st Century. Wiley, 2000, ISBN 978-0-471-29584-6; deutsch: Global brain: Die Evolution sozialer Intelligenz. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Florian Rötzer. DVA, 1999. ISBN: 978-3-421-05304-6.
- [2] Howard Bloom: The God problem: how a godless cosmos creates. Prometheus Books, 2012, ISBN 978-1-61614-551-4.
- [3] Howard Bloom: The Genius of the Beast: A Radical Re-vision of Capitalism. Prometheus Books, 2010, ISBN 978-1-59102-754-6.
- [4] Howard Bloom: The Lucifer Principle: A Scientific Expedition into the Forces of History. Atlantic Monthly Press, 1995, ISBN 978-0-87113-532-2.
- [5] P. Ward, A. Zahavie: The Importance of Certain Assemblages of Birds as 'Information-centres' for Food Finding. In: Ibis. International Journal of Avian Sciences. October 1973. DOI: https://doi.org/10.1111/j.1474-919X.1973.tb01990.x
- [6] In der deutschen Übersetzung es zitierten Buches [3] steht auf Seite 79 wörtlich: "Und zum Schluß gibt es noch Kämpfe innerhalb der Gruppe, die jedes kollektive Gebilde, jedes Gruppengehirn dazu zwingen, ständig frische Innovationen im Dienst des Überlebens auszubrüten." Ich vermute, dass hier nicht Kämpfe innerhalb einer Gruppe gemeint ist (intragroup) sondern Kämpfe zwischen Gruppen (intergroup). Für eine Übersetzungfehler spricht, dass Bloom auf Seite 87 Bakterienkolonien auf getrennten Petrischalen als Beispiel für soziale Lernmaschinen anführt und schreibt: "Wenn die zwei Gruppen um die Macht in der Petrischale kämpfen, entstünde dann aus dem Kampf ene Innovation, die das Schicksal einer Art für Äonen ereicht?" Der Gedanke der 5 Prinzipien ist kurz vorgestellt in den Kapitel "Die Komponenten der kollektivern Lernmaschine" ab Seite 79 und exemplarisch ausgeführt im Kapitel "Das bakterielle Gruppengehirn" ab von der Seite 81 bis zur Seite 87. Siehe auch Kämpfe zwischen Gruppen ↗
- [7] Eusozial lebende Bienen können leichter komplexe, das heißt schwer zugängliche, Blüten nutzen als solitär lebende Bienen. Das ist die Kernaussage in: Keasar Tamar, Pourtallier Odile and Wajnberg Eric: Can sociality facilitate learning of complex tasks? Lessons from bees and flowers. Phil. Trans. R. Soc. Veröffentlicht im Jahr 203. DOI: http://doi.org/10.1098/rstb.2021.0402
- [8] Mohn wächst zum Beispiel auf Äckern und Wiesen und ist mit seinem großen Blütenblätter leicht zu erkennen. Siehe auch Mohn ↗
- [9] Ein gutes Beispiel für eine komplexe Blüte ist die der Wald-Platterbse ↗
- [10] Zumindest das Verwachsen von Blütenblättern und die zweiseitige Achsensymmetrie haben sicher über evolutionäre Zeiträume hinweg zugenommen und müssen damit einen Vorteil in der Evolution geboten haben: Citerne H, Jabbour F, Nadot S, Damerval C. 2010 The evolution of floral symmetry. Adv. Bot. Res. 54, 85-137. DOI: doi:10.1016/S0065-2296(10)54003-5
- [11] Rodriguez-Girones MA, Santamaría L. 2007 Resource competition, character displacement, and the evolution of deep corolla tubes. Am. Nat. 170, 455-464. (doi:10.1086/520121)
- [12] Die Lernprozesse von Bienen an komplexen Blüten sind ähnlich wie Innovationen menschlicher Gesellschaften: "This is analogous to the challenge of understanding how prehistoric humans crossed initial barriers while adopting learning-dependent technological shifts, such as tool-making and farming." In: Keasar Tamar, Pourtallier Odile and Wajnberg Eric: Can sociality facilitate learning of complex tasks? Lessons from bees and flowers. Phil. Trans. R. Soc. Veröffentlicht im Jahr 203. DOI: http://doi.org/10.1098/rstb.2021.0402
- [13] Längere Lernzeiten für individuelle Bienen, etwa begünstigte durch überlappende Generationen, Arbeitsteilung und die Übernahme der Brutpflege durch spezialisierte Individuen: "Key aspects of eusocial bee colonies are overlapping generations, reproductive caste differentiation and communal care of the brood by the non-reproductive adult workers. Our model predicts that some of these features can help bees overcome the initial costs of learning to access complex flowers, and increase the colony's overall food intake." In: Keasar Tamar, Pourtallier Odile and Wajnberg Eric: Can sociality facilitate learning of complex tasks? Lessons from bees and flowers. Phil. Trans. R. Soc. Veröffentlicht im Jahr 203. Hier drängt sich der Vergleich mit menschlichen Gesellschaften auf. So führen Politiker als Argument für Kindergartenplätze und eine Ganztagsschule oft an, dass dies eine Voraussetzung für die Berufstätigkeit beider Elternteile ist.