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Gemeinschaftssiedlungen auf religiöser und weltanschaulicher Grundlage


Geschichte


Basiswissen


Im Jahr 1968 stellte der Geograph Hermann Schempp eine umfassende Beschreibung von Siedlungen mit weltanschaulich-religiöser Motivation als Buch zusammen. Die Darstellungen beginnen mit der Sekte von Qumran, etwa 100 Jahre vor Christus. Die Betrachtungen enden mit Siedlungsformen aus Schempps damaliger Gegenwart: staatskommunistischen Siedlungen, den israelischen Kibbuzim und der Genossenschaftsbewegung. Schempp suchte insbesondere auch nach Merkmalen dauerhaft stabiler Siedlungen und machte dazu bemerkenswerte Beoachtungen. Das ist hier auszugsweise vorgestellt.

Welche Siedlungen sind gemeint?


Als Gemeinschaftssiedlungen werden „Siedlungen behandelt, deren Bewohner sich durch ein ganz bestimmtes soziales Verhalten auszeichnen und sich dadurch eindeutig von ihrer Umwelt unterscheiden[1]“, und zwar durch eine gemeinsame ideelle Grundlage[1, Seite 280]. Diese ideelle Grundlage kann religiös oder auch nicht-religiös weltanschaulich sein. Nicht behandelt werden Siedlungen, die nur einen vorübergehenden oder einem rein praktischen Zwecke dienen wie zum Beispiel Forschungsstationen oder militärische Außenposten. Naturgemäß auch nicht betrachtet sind Siedlungen von Siedlungen, die infolge der Hippie-Bewegung entstanden sowie andere Sektensiedlungen aus der Zeit nach 1970.

Wer ist der Autor Hermann Schempp?


Das Buch verrät wenig über den Autor. Man erfährt, dass er im 1962 für einen mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt in dem israelischen Kibbuz Tel Katsir verweilte. Das gab den Anlass zu seinem Buch. Das Buch entstand dann in den Jahren 1964 bis 1967 am Geographischen Institut der Universität Tübingen. Als Mentor wird Professor Dr. H. Wilhelmy genannt.

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Beispiele religiöser Gemeinschaftssiedlungen[1]



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Beispiele sozialistischer Gemeinschaftssiedlungen[1]



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Beispiele kommunistischer Gemeinschaftssiedlungen[2]



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Israelische Gemeinschaftssiedlungen[1]



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Staats-Kommunistische Gemeinschaftssiedlungen[1]



Sonstige Formen historischer Gemeinschaftssiedlungen



Gemeinschaftssiedlungen nach 1970


Das Bedürfnis, Lebensweisen abseits des „Mainstreams“ ist weiterhin lebendig. Manche stören sich an der bürgerlichen Kleingeistigkeit, andere wollen dem „Konsumterror“ entfliehen, suchen eine ökologisch nachhaltige Lebensform oder fürchten den Einfluss der KI. Vielleicht ist manchmal auch einfach die Freude am sozialen Experiment das Motiv. Hier sehen beispielhaft einige Siedlungen aus der Zeit nach Schempps Buchveröffentlichung.


Grundzüge von Gemeinschaftssdiedlungen auf ideeller Grundlage


Die Angaben hier stammen weitgehend aus einem geographischen Buch von Hermann Schrempp aus dem Jahr 1969[1]. Die Zahlen der folgenden Verweise beziehen sich auf die Seiten dieses Buches. Nach einer ausführlichen Schilderung stellt Schrempp am Ende seines Buches Unterschiede und Gemeinsamkeiten der weltweit betrachteten Siedlungen heraus.


Intellektualität als Zerfalls-Katalysator


Schempp betont in seinem Buch immer wieder den engen Zusammenhang zwischen fehlender Intellektualität und langfristiger Beständigkeit. Über Jahrhunderte mehr oder minder stabile Lebensformen wie die der Amish und Hutterer in Nordamerika zeichnen sich durch eine bäuerlich-handwerklich geprägte Kultur aus. Ich konnte im Jahr 2006 selbst mit einigen Amish in Pennsylvanien reden (auf Pennsylvania-Dutch) und las in der Zeit mehrere Bücher zu dieser Bewegung. Die Schulbildung, so ein übereinstimmender Tenor vieler Schriften über die Amish, soll den Grundstock für das praktische Leben und die Lektüre der Bibel liefern. Darüberhinaus gibt es keine weiteren Ansprüche. Schempp nanne verschiedene meist sozialistisch motivierte Siedlungen von Intellektuellen, die meist schnell mit inneren Streitigkeiten endeten. Schempp betonte auch die mangelnden praktischen Fertigkeiten vieler Intellektueller, die meist die Ausbildung einer stabilen wirtschaftlichen Grundlage (Landwirtschaft) vereitelten. Gemeinschaften mit stark intellektueller Ausprägung (Vatikan, Jesuiten, Deutscher Orden) scheinen nur als kaderartige Führungselite eine Chance auf Beständigkeit zu haben. Sie haben dann aber weniger den Charakter einer räumlich begrenzten Siedlung und mehr den Charakter eines sozial abgegrenzten Milieus. Siehe dazu auch Pierre Bourdieus Konzept soziales Feld ↗

Familienstruktur und Stabilität


In Schempps-Buch wird an mehreren Stellen die Frage aufgeworfen, inwiefern klassische Familien mit Vater, Mutter und Kindern die langlebige Stabilität von Gruppen erhöhen oder verringern. Als Gefahr für die Stabilität wird meist gesehen, dass Familieninteressen stärker seien als Gruppeninteressen. So versuchen Eltern eigene Kinder in gesellschaftliche Positionen zu bekommen, die Geld und Status versprechen, und zwar auch in Konkurrenz zu anderen Bewerbern, die von ihren Fähigkeiten her besser für die Position geeignet wären. Kennzeichnende Worte sind hier Vetternwirtschaft, Sippenwirtschaft oder als Fremdwort Nepotismus. Dass nicht die klassischen Kleinfamilien sondern eher Familienclans das Problem für die Gemeinschaft sind betonte hingegen ein Buch über die Entstehung der christlich-abendländisch Kultur im Frankenreich[3]. Und eine Studie aus der Zeit nach Schempps Buch legt einen engen Zusammenhang mit klassischen Kleinfamilien und langfristig stabilen Gemeinschaftssiedlungen nahe[4]. Möglicherweise ist hier der entscheidende Faktor, dass es zwischen der (Klein)familie und der Gemeinschaft keine zwischengeschalteten Gruppen (Sippen, Clans, Parteien, Firmen etc.) gibt, die konkurrierende Ziele zu denen der Gemeinschaft haben.

Selektive Mitgliedschaft als Stabilitäts-Faktor


Im 14ten und frühen 15ten Jahrhunderte wurden weite Gebiete der heutigen Ländern Polen, Litauen, Lettland, Estland und Russland vom sogenannten Deutschordensstaat beherrscht[5]. Führenden Personen der herrschenden Elite und Verwaltung wurden von Gebieten außerhalb des Landes rekrutiert. Sie konnten eingesetzt und auch wieder abgesetzt werden. Üblich war es auch, dass Amtsträger öfters ihren Ort wechseln mussten. Und als Ordensanhänger unterlagen sie dem Zölibat und waren familienlos. Diese Prinzipie gaben eine gewissen Sicherheit gegen Vetternwirtschaft, Korruption und die Einbindung in örtliche Klüngelwirtschaft. Siehe mehr dazu im Artikel zum Deutschordensstaat ↗

Seasteading als neuer Projektionsort für Sozialutopien?


Die in Schempps Buch beschriebenen Gemeinschaftssiedlungen wurden oft weit außerhalb des Einflusses der bestehenden etablierten Gesellschaft errichtet. Ziel war es ja gerade, nach eigenen Gesetzen und mit möglichst wenig Kontakt zur restlichen Menschheit zu leben. Solche Plätze sind heute selten geworden. Zwar gibt es noch große weitgehend unbesiedelte Gebiete (Taiga, Sahara, Antarktis), doch sind diese Gebiete dennoch eng reguliert und meist unter enger staatlicher Kontrolle. Der Weltraum ist zwar inzwischen theoretisch besiedelbar, doch liegen realistische Projekt noch in ferner Zukunft. Beide Einschränkungen gelten nicht für die hohe See: außerhalb der sogenannten 200-Meilen-Zone herrscht nahezu Gesetzlosigkeit. Dort ließen sich Siedlungen mit eigener Gesetzgebung umsetzen. Eine entsprechende visionäre Bewegung spricht von Seasteading ↗

Fußnoten