Bewegungsparallaxe
Physik
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Definition|
Arten|
Typ A: nur Eigenbewegung|
Typ B: nur Fremdbewegung|
Typ C: Mischformen|
Praktische Bedeutungen|
Fußnoten
Definition
Als Bewegungsparallaxe[1] oder auch monokulare Parallaxe[2] bezeichnet man verschiedene Effekte der Wahrnehmung, die sich alle daraus ergeben, dass ein Beobachter eine „scheinbare Verschiebung“ wahrnimmt, „die zwei in unterschiedlicher Entfernung gelegene Objektpunkte bei einer Änderung der Beobachtungsrichtung gegeneinander zeigen“.[3] Das hat zur Folge, dass sich „ein Objekt am Horizont langsamer „bewegt“ und länger im Gesichtsfeld verbleibt als ein nahes Objekt.“ Da es nur auf die Änderung der Beobachtungsrichtung ankommt[3], tritt der Effekt a) dann auf, wenn sich der Beobachter bewegt und dabei zwei Objekte in unterschiedlicher Entfernung betrachtet oder aber b) der Beobachter still steht und die zwei unterschiedlich weit entfernten Objekte sich bewegen.
Arten
Man verschiedene Effekte zur Bewegungsparallaxe jeweils einem von zwei Reintypen, hier als Typ A und Typ B bezeichnet zuordnen. Typ A entspricht der klassischen Bewegungsparallaxe wie sie üblicherweise in der Literatur beschrieben wird.
Typ A: nur Eigenbewegung
Ein Beobachter bewegt sich mehr oder minder geradlinig. Dabei blickt er mehr oder minder orthogonal zur Bewegungsrichtung nach rechts oder links. Stehende Objekte, die nahe zum ihn sind, überstreichen sein Gesichtsfeld sehr viel schneller als Objekte, die weiter entfernt sind.
- Der Beobachter bewegt sich geradeaus.
- Der Beoachter blickt nach links oder rechts, querab zur Bewegungsrichtung.
- Der Beobachter betrachtet dabei zwei stehende Objekte, eines näher an ihm, eines weiter entfernt.
- Um direkt auf das nahe Objekt zu blicken, müsste man den Kopf schneller drehen als für das fernere Objekt.[3]
- Anders gesagt: das nahe Objekt hat eine sehr viel größere scheinbare Winkelgeschwindigkeit.
- Das nahe Objekt durchwandert sein Gesichtsfeld sehr viel schneller als das ferne Objekt.
- Anders gesagt: das ferne Objekt verbleibt sehr viel länger im Gesichtsfeld als das nahe Objekt.[4]
Aus diesem Effekt kann das menschliche Gehirn Rückschlüsse auf die Entfernung der betrachteten Objekte ziehen.[1] Das wissenschaftliche Gebiet, das sich mit der physikalischen Deutung von Sinneswahrnehmungen durch unbewusste Vorgänge im Gehirn beschäftigt ist die sogenannte Psychophysik.[8]
Typ B: nur Fremdbewegung
Beim Typ B steht der Beobachter still. Nur die betrachteten Objekte bewegen sich. Im einfachsten oder reinstens oder idealisierten Fall bewegen sich zwei Objekte auf je einer geraden Linie, wobei die beiden Linien parallalen zueinander sind und nahezu im 90°-Winkel, also orthogonal zur Blickrichtung des Beobachters stehen.
Typ B: Entfernung der Wanderin geschätzt etwa 140 Meter, Entfernung des Schiffes etwa 3 Kilometer, Geschwindigkeit der Wanderin etwa 1,5 m/s oder rund 3 Knoten, Geschwindigkeit des Schiffes etwa 17 Knoten.[12]
- Der Beobachter steht still.
- Beobachtet werden ein naher und ein weiter entfernter Gegenstand.
- Jeder der Gegenstände bewegt sich auf einer geraden Linie.
- Die Bewegungslinien der zwei bewegten Gegenstände sind zueinander parallel.
- Die Bewegungslinien der zwei bewegten Gegenstände bilden einen 90°-Winkel zur Blickrichtung des Beobachters.
- Bei gleicher Geschwindigkeit der zwei Gegenstände hat der nahe Gegenstand eine deutlich höhere Winkelgeschwindigkeit.
- Um den näheren Gegenstand mit der Blickrichtung zu folgen, muss man den Kopf sehr viel schneller drehen als für den ferneren Gegenstand.
- Der nahe Gegenstand durchwandert das Gesichtsfeld sehr viel schneller als der fernere Gegenstand.
- Das Video oben mit der Wanderin und dem Schiff am Nordseestrand ist von diesem Typ B.
Man kann diesen Typ sehr einfach mit einem längeren Stab beobachten. Man hält den Stab horizontal (waagrecht) so vor sein eigenes Gesicht, dass ein Ende des Stabes kurz vor der eigenen Nasenspitze liegt. Das andere Ende soll dann in Blickrichtung nach vorne geradeaus entfernt sein. Dann bewegt man diesen Stab mit einer Hand von links nach rechts und wieder zurück nach links. Der Stab darf dabei aber nicht gedreht werden. Der Kopf soll aber starr nach vorne blicken. Das Ende zur Nasenspitze durchwandert das Gesichtsfeld sehr schnell, das weiter entfernt liegende Ende aber nur sehr viel langsamer.
Typ C: Mischformen
Man kann nur beliebig viele Mischformen der beiden Reinformen oder idealiserten Arten A und B bilden. Die mathematische Handhabung ist schon für die Reinformen nicht ganz einfacht. Bei den Mischformen wird es schnell sehr kompliziert.
- Der Beobachter und die zwei Objekte können sich alle drei in beliebige Richtungen mit beliebigen Geschwindigkeiten bewegen.
- Die Bewegung müssen nicht mehr auf zueinander parallelen Linien erfolgen. Man denke an eine eigene Fahrt auf einer Achterbahn.
Praktische Bedeutungen
Psychologen interessieren sich vor allem für die Frage, wie die Gehirne oder Nervensysteme von Tieren aus den Sinnesdaten ihrer Augen oder einfacherer Lichtrezeptoren Rückschlüsse auf die Lage, die Geschwindigkeit und die Richtung der Bewegung von beobachteten Dingen ziehen. Für Tiere kann das Überlebenswichtig sein. Beispiele sind das Fangen von Beute oder dem Ausweichen vor Jägern, sodass man nicht selbst zur Beute wird. Solche Fragestellungen sind typisch für die Psychophysik ↗
Entwickler von autonomen, das heißt sich selbst steuernden Robotern, etwa Flugdrohnen, versuchen aus der Bildinformation von Bordkameras Rückschlüsse auf die Bewegungsrichtung, den Ort und die Geschwindigkeit der beobachteten Objekte zu ziehen. Dabei können Kenntnis aus der Biologie für die Technik wichtig sein und umgekehrt. Die Nutzung von Kenntnissen biologischer Vorgänge für die Technik bezeichnet man auch als Bionik ↗
Entwickler und Programmierer von Computerspielen und virtuellen Realitäten, etwa auch Flugsimulatoren, müssen diese Welten möglichst realistisch gestalten. Dabei steigt die nötige Rechenleistung sehr stark mit dem Detailreichtum der dargestellten Welten an. Weiß man, wie Menschen optische Reize verarbeiten und welche optischen Reize vielleicht weder bewusst noch unbewusst gedeutet werden, kann man auf die entsprechende Berechnung verzichten. Damit kann man mit gleicher Rechenleistung schnellere Simulationen herstellen. Die dazu verwendete Mathematik nutzt stark Methoden der Vektorrechnung, speziell auch der Vektoranalysis. Wer sich dafür interessiert wird unter dem Stichwort Optischer Fluss mehr finden.[8]
Fußnoten
- [1] In einer Definition wird Bewegungsparallaxe beschrieben als ein "wichtiger Hinweisreiz für das visuelle System, der Schlußfolgerungen auf Entfernungen zuläßt. Wenn man den Kopf bewegt, so bewegen sich nahe Objekte schneller über die Netzhaut als weiter entfernt liegende Objekte." In: der Artikel "Bewegungsparallaxe." Spektrum Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 24. Juli 2025. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/bewegungsparallaxe/2289
- [2] "Bewegungsparallaxe [engl. motion parallax], [WA], auch monokulare Parallaxe. Parallaxe." In: Online: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/bewegungsparallaxe/" target="_new">https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/bewegungsparallaxe". In: Dorsch Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 24. Juli 2025. Online: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/bewegungsparallaxe/
- [3] In einer weiteren und ähnlichen Definition ist die Bewegungsparallaxe die "scheinbare Verschiebung, die zwei in unterschiedlicher Entfernung gelegene Objektpunkte bei einer Änderung der Beobachtungsrichtung gegeneinander zeigen. Die Bewegungsparallaxe wird durch den Winkel beschrieben, unter dem die beiden Objektpunkte dem Beobachter erscheinen." In: der Artikel "Bewegungsparallaxe." Spektrum Lexikon der Optik. Abgerufen am 24. Juli 2025. Online: https://www.spektrum.de/lexikon/optik/bewegungsparallaxe/365
- [4] Die Bewegungsparallaxe ist ein "bewegungsinduziertes Tiefenkriterium, dem zufolge sich bei Eigenbewegung ein Objekt am Horizont langsamer „bewegt“ und länger im Gesichtsfeld verbleibt als ein nahes Objekt." In: Jochen Müsseler, Martina Rieger: Allgemeine Psychologie. 3. Aufl., 2017. ISBN: 978-3-642-53897-1.
- [5] Kaiser, M.K., Calderone, J. B. Factors influencing perceived angular velocity. Perception & Psychophysics 50, 428–434 (1991). https://doi.org/10.3758/BF03205059
- [6] Zumindest im Nahbereich bis etwa 10 Meter gleicht das menschliche Gehirn den Verlust an Winkelgeschwindigkeit für eine Abschätzung der wahren Geschwindigkeit einer in Wirklichkeit geradlinigen Bewegung aus: "although an object moving across the visual field at a constant physical speed decreases in angular speed as its plane of motion increases in physical distance its perceived speed nonetheless. remains relatively constant. Brown (1931) studied this phenomenon experimentally and found only a 20% diminution in the perceived speed of a stimulus moving in the fronroparallel plane when its physical distance was increased from 1 to 10 m (causing a 90% diminution of actual angular speed)." Wist, E.R., Diener, H.C., Dichgans, J. et al. Perceived distance and the perceived speed of self-motion: Linear vs. angular velocity?. Perception & Psychophysics 17, 549–554 (1975). https://doi.org/10.3758/BF03203967" target="_new">https://doi.org/10.3758/BF03203967": In: Wist, E.R., Diener, H.C., Dichgans, J. et al. Perceived distance and the perceived speed of self-motion: Linear vs. angular velocity?. Perception & Psychophysics 17, 549–554 (1975). https://doi.org/10.3758/BF03203967
- [7] Als Begründer der Psychophysik gilt Gustav Fechner. Heute spricht man auch von Kognitionspsychologie. Tatsächlich gibt es aber auch heute noch wissenschaftliche Journale, die die Bezeichnung Psychophysik in ihrem Namen tragen. Siehe auch Psychophysik ↗
- [8] "Der optische Fluss einer Bildsequenz ist das Vektorfeld der in die Bildebene projizierten Geschwindigkeit von sichtbaren Punkten des Objektraumes im Bezugssystem der Abbildungsoptik." In: der Artikel "optischer Fluss". Wikipedia. Abgerufen am 25. Juli 2025. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Optischer_Fluss
- [9] Das Video zum Typ B mit dem Schiff entstand am 24. Juli 2025, gegen 12:27 am Oststrand der Nordseeinsel Wangerooge. Man blickt in etwa Richtung Norden. Die Schiffe, die dort Richtung Westen fahren kommen meist aus der Jade, speziell vom JadeWeserPort bei Wilhelmshaven. Auf online-Portalen zur Verfolgung von Schiffen (etwa vesselfinder.com) befinden sich die Schiffe auf dieser Route etwa 2,7 Kilometer nördlich des Strandes. Zoomt man an das Schiff heran, erkennt man mittschiffs auf dem Deck einen größeren weißen Aufbau. Das könnte ein sogenanntes Manifold sein, eine Schlauchanschlussstation. Das deutet darauf hin, dass das Schiff vielleicht ein Chemikalientanker ist, der an einer der Stege der Chemiewerke am Voslapper Groden, nördlich des JadeWeserPorts seine Ladung gelöscht hat. Dass das Schiff unbeladen fährt wird durch den geringen Tiefgang nahegelegt. Schiffe, die die Jade befahren, können maximal einen Tiefgang von 16,5 Metern haben. Geht man davon aus, dass unbeladene Schiffe noch immer einen Tiefgang von 9 bis 12 Metern haben (Ballast zur Stabilisierung), dann kann man grob abschätzen, dass die Bordwand von der Wasserlinie bis zum Deck rund 10 Meter hoch ist. In einer starken Vergrößerung am Bildschirm war die Länge auf dem Bildschirm 220 Millimeter, die Höhe der Bordwand über dem Wasser nur 11 Millimeter. Das Schiff ist also 220/11 mal so lang wie die Bordwand über Wasser hoch ist. Geht man für die Höhe von 10 Metern aus, dann ist das Schiff insgesamt etwa 220·10/11 Meter oder ziemlich genau 200 Meter lang. Wenn es für ein Durchfahrung seiner eigenen Länge etwa 24 Sekunden benötigt, dann ist es rund 200/24 oder rund 8 m/s schnell. Das entspricht einer Geschwindigkeit von rund 16 Knoten. Das ist durchaus eine realistische Geschwindigkeit für Tanker dieser Größerordnung. Die Geschwindigkeit der Wanderin wurde aus Erfahrung auf 1,5 m/s geschätzt. 1 m/s ist ein sehr langsames Schlendern. 2 m/s sind schon ein flotter Schritt. Irgendetwas dazwischen scheint realistisch. 1,5 m/s entsprechen recht gut 3 Knoten. Damit kann man sagen, dass das Schiff tatsächlich gut fünf mal so schnell ist wie die Strandwanderin. Achte auch auf die schwarzen Streifen oder Felder auf dem Sand im Vordergrund: die dunklen Körner bestehen wahrscheinlich aus sogenannten Schwermineralen. Der Film wurde gemacht mit einer Kamera der Art DJ Osmo Action 4.