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Kognitive Dissonanz


Psychologie


Basiswissen


Unangenehmes Gefühl aufgrund widersprüchlicher Informationen: Piloten müssen lernen ihren Instrumenten zu vertrauen. In Wolken oder der Dunkelheit kann das Körpergefühl oft das Gegenteil von dem behaupten was die Instrumente sagen. Man meint, in einer starken Rechtskurve zu fliegen, während die Instrumente behaupten, dass man geradeaus fliegt. Aus diesen widersprüchlichen Informationen entsteht ein sehr unangenehmes Gefühl. Dieses nennt man kognitive Dissonanz.

Kognitive Dissonanz: die Division als Beispiel


Beim Lernen tritt kognitive Dissonanz vor allem dann auf, wenn man zwei Wissensgebiete gedanklich zusammenbringt und sie dann nicht passen. Ein Beispiel betrifft das Dividieren nach dem Verlassen der Grundschule. Für das Teilen mit natürlichen gilt, dass diese Rechenoperation "alles kleiner macht": 10 geteilt durch 5 gibt 2. Die 2 ist kleiner als die ursprüngliche 10. Diese Überzeugung, dass die Division als Rechenoperation alles kleiner macht, nehmen viele Kinder (zu Recht) mit aus der Grundschule. Später lernen Sie dann "Kommazahlen" kennen. Man kann damit zum Beispiel die Aufgabe 2:0,5 lösen. Das Ergebnis ist 4. Jetzt stimmt aber nicht mehr, dass die Divsision alles kleiner macht. Aus der 2 wurde nach einer Division eine 4! Lies mehr dazu unter Divisionsparadoxon ↗

Kognitive Dissonanz und Intelligent Confusion


In der Schulmathematik gibt es das Wort der Tangente einer Kurve. So muss auf dem Weg zum Abitur oft eine solche Tangente berechnet werden. Die meisten Schüler nehmen mehr unbewusst als aktiv an, dass eine Tangente den Graphen einer anderen Funktion an einer bestimmen Stelle nur "berühren" aber nicht "schneiden" darf. Mit berühren verbinden sie die Idee, dass die Tangente an der betrachteten Stelle nicht von einer Seite des anderen Graphen zur anderen Seite wechselt, dessen Linienzug also nicht durchtrennt. Genau das aber dürfen Tangenten durchaus. Das klassische Beispiele dafür ist die Tangenge an einem Sattelpunkt. Dort geht die korrekte Tangente durch den Sattelpunkt von einer Seite des Graphen zur anderen. An dieser Stelle empfinden viele, aber nicht alle, Schüler Verwirrung. Verwirrung verspürt nur, wenn sich beim Betrachten einer Tangente eines Sattelpunktes gleichzeitig an die vermeintlich richtige Definition einer Tangente erinnert und glaubt, dass sie nicht schneiden dürfe. Man benötigt also ein Mindestmaß an Erinnerungsvermögen, Geistesgegenwärtigkeit oder Intelligenz, um überhaupt in der Bereich einer kognitiven Dissonanz zu kommen. In der englischsprachigen Didaktik bezeichnet man dieses Phänomen als intelligent confusion. Einige Beispiele dazu stehen auf der Seite intelligent confusions ↗

Kognitive Dissonanz: Korrespondenzprinzip als Lösung


Newton und Einstein können nicht beide gleichzeitig Recht haben. Oder doch? Die Physik der Bewegung von Körpern beruhte bis ins Jahr 1905 auf den drei Newtonschen Axiomen, verbunden mit der Idee, dass es einen absoluten Raum und eine absolute Zeit gebe. Tatsächlich aber versagt diese newtonsche Physik in vielen Situationen. Sie könnte zum Beispiel nicht erklären, warum der Planet Merkur seltsame Abweichungen von seiner berechneten Umlaufbahn macht. Im Jahr 1905 veröffentlichte dann Albert Einstein seine Relativitätstheorie, die in vielen konkreten Einzelfällen zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt als Newtons Formeln[5]. Aber es war Einstein, und nicht Newton, der die seltsame Merkurbahn korrekt berechnen konnte. Die kognitive Dissonanz bestand hier darin, dass Newtons Formelwerk sehr gut auf den großen Bereich menschliche Alltagsbeobachtungen passt, nach der Theorie Einsteins aber nicht immer und überall gültig sein kann. Was bei der Merkurbahn störte war die große Nähe zur überaus sehr großen Masse der Sonne. Tatsächlich gilt, dass sich die Theorien von Newton und Einstein annähern, wenn man die betrachteten Massen und Geschwindigkeiten der untersuchten Objekte nur ausreichend klein macht. So gesehen konnte man die Newtonsche Mechanik zu einem Sonderfall der Einsteinschen Relativitätstheorie machen. Damit war die Dissonanz, der Missklang, aufgehoben. So kann man übrigens auch das oben beschriebe Divisionsparadoxon aufheben. Das Rechnen mit natürlichen Zahlen ist nur ein Sonderfall des Rechnens mit reellen Zahlen. Dass alte Theorien nicht völlig verworfen werden müssen, sondern zu Sonderfällen erweiterter neuer Theorien werden nennt man in der Wissenschaft das Korrespondenzprinzip ↗

Kognitive Dissonanz: Komplementaritätsprinzip als Lösung


In der Quantenphysik sind bereits früh im 20ten Jahrhunderte unlösbare Widersprüche bei der physikalischen Beschreibung von Materie aufgetaucht. Elektronen zum Beispiel scheinen gleichzeitig den Charakter von Wellen wie auch von Teilchen zu haben. Beide Betrachtungen scheinen für das ganze Phänomen des Elektrons notwendig zu sein, sie schließen sich aber gegenseitig aus. Der dänische Physiker Niels Bohr (1885 bis 1962) schlug vor, auch unverträgliche Beschreibungen nebeneinander stehen zu lassen und als Aspekt der Wirklichkeit aufzufassen. Diese "Lösung" einer kognitiven Dissonanz bezeichnet man heute als Komplementaritätsprinzip ↗

Kognitive Dissonanz: Doppeldenk als emotionale Lösung


In den frühen 2020er Jahren wurde beschlossen, den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen in Deutschland bis zum Jahr 2030 deutlich zu senken. 2023 legte der Europäische Rechnungshof dar, dass die verfügbaren Geldmittel Deutschlands dafür nicht ausreichen[1]. Gleichzeitig stellen Klimaforscher fest, dass das politisch verbindliche Ziel einer Beschränkung der Erderwärmung auf 1,5° sehr wahrscheinlich nicht mehr erreicht werden kann[2]. Zur Erreichung der Ziele müsste zum Beispiel der Individualverkehr sofort eingestellt werden, wozu sich gegenwärtige Demokratien aber nicht entscheiden werden. Die kognitive Dissonanz entsteht aus der Zwickmühle, dass die Politik a) Klimaziele erreichen soll und b) die Wähler ihren gegenwärtigen Lebensstil nicht ausreichend stark ändern wollen. Eine "Lösung" dieser Auswegslosigkeit besteht für Politiker darin, beide Ziele nebeinander stehen zu lassen. Der Ministerpräsident von Schleswig Holstein, Daniel Günther formulierte das treffend: "Für mich sind Klimaziele überhaupt nicht verhandelbar in einer Koalition". Aber: nicht verhandelbar sei auch ein zügiger Weiterbau der Autobahn 20[3]. Günther erweckt den Eindruck, als könne man Klimaziele erreichen, ohne den Individualverkehr spürbar zu beschneiden. Der englische Schriftsteller George Orwell bezeichnete diese Art schizophrenen Denkens als Doppeldenk ↗

Kognitive Dissonanz: Kompartmentalisierung als emotionale Lösung


Irgendwann im Winter 1940/41 sitzt der englische Schriftsteller George Orwell an seinem Schreibtisch. Über ihm dröhnen die Bomber der deutschen Luftwaffe. Sie fliegen einen ihrer vielen Angriffe auf die Stadt London. Orwell schreibt sinngemäß[6], dass in den Bombern hochzivilierte Menschen sitzen, die ihn töten wollen. Orwell ist überzeugt, dass diese Männer privat gesetzestreu Leben und nie auf den Gedanken eines Mordes kämen. Sie erfüllen, so Orwell weiter, einfach nur ihre Pflicht. Was hier angedeutet wird sind zwei Lebenswirklichkeiten, in denen unterschiedliche Gesetze gelten dürfen. Im Krieg darf man töten, im Privatleben nicht. Das Prinzip gilt auch im Geschäftsleben: dort darf man durchaus Konkurrenten "über den Tisch ziehen", während das im Privatleben verpönt ist. Gute Bekannte von mir, fromme Christen, klärten mich einmal darüber auf, dass die Nächstenliebe auf Mitglieder der eigenen Familie und des näheren Lebensumfeldes beschränkt sei. Für Heiden zum Beispiel gelte das Gebot nicht automatisch. Das fand ich beachtlich. In den Beispielen werden kognitive Dissonanzen dadurch aufgelöst oder von vorneherein verhindert, indem man verschiedenen Lebenssphären auch unterschiedliche Regeln zugesteht. Das nennt man Kompartmentalisierung (Psychologie) ↗

Kognitive Dissonanz: Pollyanna als emotionale Lösung


Am 28. Januar 1986 explodierte nur 73 Sekunden nach dem Start und in 15 Kilometern Flughöhe die bemannte Raumfähre Challenger. Bei der Aufklärung der Ursachen stieß der Physiker Richard Feynman auf eine bemerkenswerte Tatsache, der er ein ganzes Kapitel in einem Buch[4] widmete. Während Techniker und Ingenieure die Gefahr eines Ausfalls von bestimmten Bauteilen beim Betrieb der Raumfähre mit 1:200 bis 1:300 einschätzten, hielt ein höhergestellter Manager diese Wahrscheinlichkeit für nur 1:100000, also für sehr viel geringer. Probleme schlichtweg auszublenden und nur das nach außen darzustellen, was Zuhörer auch hören möchten. Die Zuhörer, so die Vermutung Feynmans, waren Politiker, die nur hören wollten dass die Raumfähre jederzeit sicher einsatzbereit sei. Die starre Fixierung auf angenehme Informationen wird im englischen Sprachraum als Pollyanna bezeichnet. Deutsche Entsprechungen für dieses Wort sind die rosarote Brille, Bullerbü, heile Welt oder Wolkenkuckucksheim. Eine kognitive Dissonanz wird dadurch emotional aufgelöst, dass man unpassende Informationen völlig ignoriert. Siehe auch Pollyanna ↗

Fußnoten