R


Impetustheorie


Physik


Basiswissen


Stößt man eine Kugel auf einer spiegelglatten Eisebene schwungvoll an, so wird sie zwar sehr weit rutschen, aber irgendwann dennoch still stehen bleiben. Solche Beobachtungen führten den Denker Aristoteles zu der Idee, dass der natürliche Zustand von Gegenständen die Ruhe sei. Um sie in Bewegung zu halten, müsse man ständig aktiv drücken oder ziehen. Dass dieser Gedanke falsch sein könnte war der Ausgangspunkt der mittelalterlichen Impetustheorie.

Was heißt das Wort Impetus?


Impetus heißt so viel wie Schwung, Vorwärtsdrang, auch Wucht oder Trägheit der Bewegung[10]. Wenn etwa ein Kind auf einer Schaukel von einem Erwachsenen mit viel Schwung angeschubst wird, dann kann das Kind höher und länger Schaukeln, als wenn der Schwung am Anfang klein war. Solche Alltagsvorstellung der Bewegung griffen sowohl die antiken Gedanken wie auch die mittelalterliche Impetustheorie auf.

Aristoteles: gezwungene Bewegung braucht ständig Kraft


In der Antike, der Blütezeit griechischer und römischer Kultur, fasste vor allem der Universalgelehrte Aristoteles Ideen seiner Zeit zu eine Art Theorie. Bewegungen natürlicher Körper auf der Erde dienen dazu einen gestörten Zustand wieder zu korriegieren. So seien schwere Körper unten und leichte Körper oben. Deshalb fielen schwere Körper auch schneller zu Boden als leichte. Sehr leichte Körper (Rauch) steigen sogar auf. Neben diesen natürlichen Bewegungen betrachtete Aristoteles auch erzwungene Bewegungen, wie die eines gezogenen Ochsenkarren. Nur wenn von außen eine Kraft einwirkt, findet die Bewegung auch statt. Diese Gedanken von Aristoteles sind sehr nahe an der Alltagserfahrung[1][2]. Nur sehr genaue Beobachtungen und tiefer gehende Gedankenexperimente können ihre Fehler aufzeigen.

Philoponus: die Idee vom Anfangsschwung (Impetus)


Ein Problem mit der aristotelischen Vorstellung ergab sich bei der Betrachtung von Flugbahnen von Geschossen. Aristoteles zufolge müsste dem Geschoss zur Erhaltung seiner Bewegung ständig eine Kraft zugeführt werden. Das kann bei einer Kugel außerhalb eines Geschütze, eines Katapultes oder eines Bogens schwerlich der Fall sein. Woher kommt dann die Kraft zum Erhalt der Flugbewegung? Der Impetustheorie zufolge wird dem Objekt beim Abschuss eine gewisse Menge Impetus (Schwung) mitgegeben, die sich dann während des Fluges aufbraucht. Ist der Impetus aufgebraucht, fällt das Objekt senkrecht nach unten zu Boden. Der spätantike Denker Johannes Philoponus (490 bis 575) aus Alexandria (Ägypten) entwickelte die aristotelische Idee dann weiter. Philoponus zufolge, braucht es keine ständige Krafteinwirkung, um eine gezwungene Bewegung aufrecht zu erhalten. Stattdessen kann der Verursacher der Bewegung (z. B. ein Katapult) dem Körper einen Impetus, eine Schwung mitgeben, der sich dann aber mit der Zeit verbrauche[4, Seite 477].

Avicenna (Ibn Sina): im Vakuum ist keine Kraft nötig


Der arabische Gelehrte Ibn Sina (980 bis 1037), im Abendland auch Avicenna genannt, bestätigte die Impetustheorie. Auch er ging davon aus, dass dem Körper von Anfang an ein Schwung, ein Impetus mitgegeben sein muss. Anders als Philoponus aber ging Ibn Sina nicht davon aus, dass dieser Impetus sich von alleine verbrauche. Um ihn zu verbrauchen, benötige es Kräfte von außen. In einem Vakuum würde sich der Impetus, so Avicenna, nicht verbrauchen. Das ist im Prinzip die spätere Aussage Newtons (1642 bis 1727), dass ein Körper so lange im Zustand einer gleichförmigen geradlinigen Bewegung bleibt, bis dass er von außen einwirkende Kräfte erfährt[5]. Siehe auch Erstes Newtonsches Axiom ↗

Abu'l-Barakāt: der freie Fall braucht eine Erklärung


Der jüdisch-arabische Gelehrte Abu'l-Barakāt al-Baghdādī (1080 bis 1164) aus Bagdad stimmte Philophonus und Ibn Sina zu, dass ein bewegter Körper einen Impetus brauche, also einen Schwung am Fang, der ihm mitgegeben wird. Anders als Ibn Sina ging aber Abu'l-Barakāt wieder davon aus, dass der Impetus sich verbrauche, auch im Vakuum[5]. Abu'l-Barakāt bemerkte darüber hinaus, dass ein frei fallender Körper von alleine schneller werde. Diese Beobachtung für sich alleine ist schon bemerkenswert: man versuche einmal im Alltag zu beobachten, wie ein frei fallender Körper schneller wird. Lernende in unserer Lernwerkstatt in Aachen beobachten, dass ein Stein, der aus einer Hand fällt, im Prinzip sofort eine hohe Geschwindigkeit hat. Man muss sich immer wieder in Erinnerung halten, wie aufmerksam die mittelalterlichen Denker beobachteten und folgerten. Abu'l-Barakāt folgerte dann, dass der fallende Körper ständig einen neuen Impetus erhalte. Siehe auch Freier Fall ↗

Buridan: der moderne Begriff des Impulses


Das mittelalterliche philosophische Denken in Westeuropa war von drei gedanklichen Hauptströmungen beeinflusst: a) der biblischen Überlieferung, b) der Lehre des Aristoteles und c) arabischen Einflüssen seit Erboberung Spaniens durch die Araber (8tes Jahrhundert) und insbesondere seit der Kreuzzüge (etwa ab 1100). Buridan griff diese Ideen auf und bündelte sie an der Universität von Paris. Er beschrieb recht genau das, was man in der modernen Physik heute den Impuls nennt. In einer englischen Übersetzung heißt es:

"When a mover sets a body in motion he implants into it a certain impetus, that is, a certain force enabling a body to move in the direction in which the mover starts it, be it upwards, downwards, sidewards, or in a circle. The implanted impetus increases in the same ratio as the velocity. It is because of this impetus that a stone moves on after the thrower has ceased moving it. But because of the resistance of the air (and also because of the gravity of the stone) which strives to move it in the opposite direction to the motion caused by the impetus, the latter will weaken all the time. Therefore the motion of the stone will be gradually slower, and finally the impetus is so diminished or destroyed that the gravity of the stone prevails and moves the stone towards its natural place. In my opinion one can accept this explanation because the other explanations prove to be false whereas all phenomena agree with this one.[7]"

Buridan gibt diesen Impetus rechnerisch, also quantitativ, als Produkt aus dem Gewicht (der Masse) und der Geschwindigkeit an. Die heutige Schreibweise dafür wäre mv. Das ist exakt die Definition des modernes Impuls[es] ↗

Buridan: die Kreisbewegung bleibt noch falsch verstanden


Buridan ging auch davon aus, dass ein Körper in einer Kreisbewegung dem Gesetz des Impetus unterliegt. Speziell über die Bewegung himmlicher Körper auf den damals angenommenen Kreisbahnen schrieb er:

"God, when He created the world, moved each of the celestial orbs as He pleased, and in moving them he impressed in them impetuses which moved them without his having to move them any more […] And those impetuses which he impressed in the celestial bodies were not decreased or corrupted afterwards, because there was no inclination of the celestial bodies for other movements. Nor was there resistance which would be corruptive or repressive of that impetus.[8]"

Bezüglich der Kreisbewegung wurden Buridans Gedankens später erheblich revidiert. Anders als von Buridan angenommen muss eine Objekt auf einer Kreisbahn ständig eine von außen an ihm angreifende Kraft erfahren, um ihn auf der Kreisbahn zu halten. Im Falle von Himmelskörpern ist das die Gravitation. Siehe auch Kreisbewegung ↗

Isaac Newton: die Gravitationskraft als Lösung


Sowohl Abu'l-Barakāt mit der sich beschleunigenden Bewegung beim Freien Fall als auch Buridan mit der Kreisbewegung lagen mit der Impetustheorie falsch. Weder wird beim Freien Fall ständig neu ein Impetus übertragen noch ist die Kreisbewegung eine natürliche Bewegung, die sich selbst unterhält. Was beiden Denkern in ihrer Zeit völlig unbekannt war ist die Idee der Gravitation. Das war Newtons Idee. Er kam auf den Gedanken, dass von der Materie der Himmelskörper - und letztendlich von jeder Materie - eine Anziehungskraft auf andere Materie wirkt. Siehe auch Gravitationskraft ↗

Gottfried Wilhelm Leibniz: ½mv²


Dem Universalgenie Leibnis (1646 bis 1716) wird die erstmalige Verwendung des Wortes Vis viva, der lebendigen Kraft zugeschrieben. Er habe sie matheamtisch gefasst als mv²[9]. Leibniz lag damit sehr nahe an der heutigen Formulierung der kinetischen Energie ½mv² ↗

Fußnoten