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Das Banner der Rhetos-Website: zwei griechische Denker betrachten ein physikalisches Universum um sie herum.

Nuklear-Tsunami (Nordsee)

Fiktiv

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Basiswissen


Welche Zerstörung könnte ein gezielter Angriff mit Atombomben in der Nordsee an der deutschen Küste bewirken? In den 1960er Jahren wurden Explosionen in der Elbmündung, vor Helgoland und in größeren Wassertiefen der Deutschen Buch durchgerechnet. Das Zerstörungspotential blieb unter dem der Sturmflut von 1962 weit zurück.[1]

Anlass: nuklearer Warnschuss


In den 1960er Jahren, zu den Hochzeiten des Kalten Krieges zwischen dem damaligen Warschauer Paket und der NATO, spielten Wissenschaftler verschiedene Szenarien eines Nuklearangriffes ausgehend von der damaligen Sowjetunition durch. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass sowohl eine militärische Verteidigung sowie ein umfassender Zivilschutz im Fall eines Atomkrieges illusorisch sind. Realistisch war einzig die Abschreckung.[2] Die Idee einer gezielten Nuklearexplosion in der Nordsee entstand aus der Überlegung, dass die Sowjetunion eine Art der Explosion suchen könnte, die nur als Warnung an den Kriegsgegner, die damals nur westdeutsche BRD, gedacht sein soll.

Betrachtete Szenarien


Die Atombombe, welche am 6. August 1945 die japanische Stadt Hiroshima auslöschte, hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen. Im gesamten Weltkrieg sind konventionelle Bomben mit insgesamt 2000 Kilotonnen oder auch 2 Megatonnen explodiert. Um 1970 konnte eine einzelne Atombombe eine Sprengkraft von eben jenen 2 Megatonnen bis weit über 20 Megatonnen entfalten. Die vier für die Nordsee durchgespielten Szenarien reichen bis hin zu Explosionen einzelner Bomben mit eben jenen 20 Megawatt.

Eine Atombombe in der Elbmündung


  • Der Krater:
  • Das eine Ziel einer solchen Explosion könnte es sein, die Fahrrinne zu blockieren.
  • Eine 2-Megatonnen-Bombe würde einen Krater mit 1100 Metern Durchmesser erzeugen.
  • Der Krater wäre etwa 50 Meter tief mit einem etwa 6 Meter hohen Wall rundum.
  • Eine 20-Megatonnen-Bombe würde einen 70 Meter tiefen Krater mit 8 Meter hohem Wall erzeugen.
  • Insbesondere der Kraterrand konnte die Wassertiefe verringern.
  • Aber die Gezeiten würden die Unebenheiten nach "einigen Wochen" abtragen.

  • Die Druckwelle:
  • Eine 2-Megatonnen-Bombe gäbe eine Druckwelle in der Luft von etwa einem atü.[3]
  • Eine 20-Megatonnen-Bombe gäbe eine Druckwelle in der Luft von etwa zehn atü.
  • Die Druckwellen im Wässer kämen auf Drücke der Schockwelle bis 280 atü.
  • Der Hauptschaden wäre die Zertörung der Schleusentore in Brunsbüttelkoog.

  • Die Flutwelle:
  • Je tiefer das Wasser, desto höher die Welle.
  • Eine 100-kt Bombe erzeugt in tieferem Wasser eine Welle mit 14 Metern Höhe in 1,5 km Entfernung.
  • Anders als bei sonst üblichen Wasserwellen, bewegt sich das Wasser hier aber schnell in Ausbreitungsrichtung.
  • Das würde die Küste "weiter als gewöhnlich" überluten.
  • Die Deiche in der Nähe werden überflutet oder gebrochen.
  • Schwer abschätzbar ist, wie weit die Welle Richtung Hamburg laufen würde.
  • Bei Ebbe lässt das entgegenlaufende Wasser des Ebbstroms die Flutwelle steiler werden.
  • Eine Formel für die Höhe z einer Flutwelle ist abschätzbar über z = Q/√(g·F·G) mit Q=Wasserzufuhr in m³/s, g als Erdbeschleunigung, B die Spiegelbreite, und F als Flussquerschnitt. [5] Die Wasserzufuhr wird aus der Höhe der angehobenen Säule der Explosion abgeschätzt werden. So kommt man auf eine rund 1 Meter hohe Flutwelle, die Hamburg erreichen könnte.
  • Fallbeispiel[4]: 20-kt-Bombe explodierte in 70 m tiefer Lagune, Krater von 700 m Durchmessers, soll eine Million t Wasser gehoben haben, die Wassermenge über der späteren Krater war 30·10⁶ t. Der größte Teil davon sei verdampft, ein anderer Teil ist in Form von Tröpfchen in die Luft gehobe worden, ein Dreißigstel ist in einer Wassersäule gehoben worden und nach einigen Sekunden zurückgefallen. Dieses Wasser und das von außen ins Explosionsloch einströmede Wasser bildeten eine Flutwelle.[4]

  • Der Feuerball:
  • Bei der Baker-Explosion mit 20 kt in 60 m tiefem Wasser sei kein Feuerball oberhalb des Wassers aufgetreten.
  • Bei Explosionen in der Luft seien die Feuerballradien: 20 kt -> 100 m; 200 kt -> 250 m; 2 Mt -> 600 m und 20 Mt -> 1500 m
  • Etwaige Feuerbälle oberhalb des Wassers, etwa bei Brunsbüttel, könnten kleinere Brände auslösen, die aber im Schadensumfang hinter dem Schaden der Flutwelle zurückbleiben.

  • Der Fallout:
  • Bei einer 20-Mt-Explosion reicht der Fallout bis weit nach Polen.
  • Es wäre mit mehreren Millionen betroffenen Menschen zu rechnen, von denen nur ein Teil überleben würde.

Atombombe in der Deutschen Bucht


  • Bei einer Explosion in einer flachen Flußmündung entsteht mehr Fallout als bei einer Explosion in tieferem Wasser.
  • Bei einer Explosion südlich von Helgoland bis in Wassertiefen von 50 m kämen dort in Frage.
  • Mögliche Schäden beträfen Schiffe und die Insel Helgoland, dort nur das Unterland.
  • Je tiefer die Explosion im Wasser, desto höhe die Explosion:
  • 2-Megatonnen-Bombe in 200 Meter Tiefe: 3 Meter Wellenhöhe in 50 km Entfernung
  • 20-Megatonnen-Bombe in 360 Meter Tiefe: 9 Meter Wellenhöhe in 50 km Entfernung
  • 2-Megatonnen-Bombe in 50 Meter Tiefe: 0,8 Meter Wellenhöhe in 50 km Entfernung
  • 20-Megatonnen-Bombe in 50 Meter Tiefe: 1,3 Meter Wellenhöhe in 50 km Entfernung
  • Wesentlich für die Abschätzung ist, dass die Explosion dem Wasser auch einen horizontalen Impuls mitgibt.

Explosion in der Nordsee


  • Weit in der offenen Nordsee, 6° westliche Länge, 55° 30' nördliche Breite
  • Wassertiefe dort etwa 50 m, Schäden ähnlich der Explosion in der Deutschen Bucht.
  • Wellenschäden bei Ebbe niedrig, Energieabbau durch ansteigende Küsten.

Explosionen in tiefem Wasser


  • Bei Explosionen in vergleichsweise flachem Wasser wird "ein großer Teil der Bombenenergie nicht dem Wasser übertragen".
  • Tiefes Wasser gibt es in der Nordsee zum Beispiel in der norwegischen Rinne.
  • Eine 2-Megatonnen-Bombe sprengt in der Erde eine Höhe von 300 Metern Durchmesser.
  • In Wasser würden auf einen Kubkzentimeter rund 20 cal Energie kommen.[6]
  • Nur etwa ein Hundertstel der Energie würden als kinetische Energie auf das Wasser übertragen.
  • Das liegt an der untersten Grenze für die Energie eines Tsunamis.
  • Große Tsunamis könnten mit den damals (um 1970) bekannten Kernwaffen nicht erzeugt werden.
  • Man könne aber versuchen, kleine Seebeben mit Schwingungsperioden von etwa 1 Stunde zu erzeugen.
  • Die Seebeben könnten dann "Tsunami-ähnliche" Wirkungen haben".

Das Damoklesschwert eines Atomkrieges


Die hier vorgestellten Überlegungen von Utz-Peter Reich sind eingebettet in ähnliche solche Abschätzungen von gezündeten Atombomben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, dem ehemaligen Westdeutschland. Das Buch wurde herausgegeben von den Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 bis 2007). Weizsäcker hatte als erster die nuklearen Vorgänge im Inneren der Sonne richtig gedeutet. Im zweiten Weltkrieg wirkte er im Umkreis deutscher Forschungen zur Kernkraft. Nach dem Krieg mahnte von Weizsäcker als Philosoph vor den Folgen eines Nuklearkrieges.

ZITAT:

"Im öffentlichen Bewußsein wird [das] Problem der Verhütun eines atomaren Weltkrieges heute weitgehend psychologisch verdrängt [...] Man begnägt [] mit einer eigentümlichen Mischung von Sicherheit und Fatalismus, ewas ausgedrückt in den Sätzen 'Die großen Waffen sichern den Frieden' und 'Wenn der große Krieg kommt, ist sowieso alles aus'. Man schiebt das Probelm gerade wegen siener Übergröße ab und wendet sich dann wieder den Sorgen und Interessen des Tages zu. Wenn aber eine politische Haltung die Gefahr eines großen Krieges herausfordert, so ist es diese."[7]

Weizsäcker argumentiert, dass die "Entscheidungen des Tages" auf den Faden zurückwirken, an dem das Damoklesschwert des großen Kriegs hänge. Ob sich dieser Faden zu einem "Strick verstärkt" oder "hauchdünn gescheuert" wird, wirke auch auf die politischen Entscheidungen ein. Wie genau, lässt Weizsäcker offen. Man kann aber klar lesen, dass Weizsäcker den Rückzug ins Klein-Klein des Alltags für gefährlich hält.[8]

Persönliche Einschätzung


Das Jahr 1970 fällt in etwa in jene Zeit, aus der meine ersten Erinnerungen als vierjähriges Kind stammen dürften.[9] Die 1970er Jahre sind in meiner Erinnerung inzwischen gefühlsmäßig verklärt zur "Guten alten Zeit", der sorglosen Zeit der Kindheit, ene g verwoben mit den Klängen der Popgruppe ABBA, den Schlagern der Zeit und Fernsehserien wie Bonanza, der Sesamstraße, Raumschiff Enterprise, Flipper, Biene Maja und derlei mehr. Die jährlichen Urlaube an der Nordsee gehören zu den schönsten Erinnerungen, in die mich wie in einen inneren Urlaub zurück ziehen kann. Die atomare Bedrohung wie oben so eindrucksvoll nüchtern beschrieben spürte ich vielleicht ab Mitte der 1980er Jahre. Aber auch als Jugendlicher hatte der ganze Themenkomplex für mich bestenfalls Unterhaltungswert (Filme, Bücher, Musik[11]) oder einen intellektuellen Reiz. Die atomare Bedrohung war ähnlich der allgegenwärigen Sichtbarkeit des Links-Terrorismus nur ein leichter Nervenkitzel im Abenteuer einer Welt, die entdeckt werden wollte. Und nirgends in meinem Umfeld, keine Bekannten, keine Verwandten und keine Freunde hatten je ein Befürnis gezeigt darüber zu reden. Die Lebensenergie, so meine Erinnerung, der Menschen die ich kannte ergoßen sich in Feiern, Urlauben, dem Füreinander und ins Miteinander im eigenen Ort, in den Beruf und - zu einem großen Teil - in die Unterhaltungsindustrie des Fernsehens.

Bemerkenswert finde ich die Parallele zur heutigen sehr aggressiven und professionellen Verdrängung der Zusammenbruchs des alten Klimaregimes. Wo früher linke Demonstranten gegen die Stationierung von Atomwaffen in der BRD zusammengeschlagen wurden, sperrt man heute Klimaaktivisten in Gefängnisse. Und niemand - NIEMAND - in meinem nicht ganz so kleinen Bekannten- und Freundeskreis in den 2020er Jahren zeigt ein Bedürfnis, länger als zwei Sätze und mit offenem Ausgang und suchend-fragender Grundhaltung über den Klimawandel zu sprechen.[10] Mir macht die Fähigkeit meiner Mitmenschen Angst, die Großen Fragen so vollständig von jeder ernsthaften Beschäftigung auszuschließen. Andererseits aber ist das vielleicht nur der angemessene Ausdruck davon, dass wir als größere Gesellschaften eine Art kollektive Intelligenz darstellen, bei der die Fähigkeit zur Arbeitsteilung gerade eines der Erfolgsmerkmale ist. Einen theoretischen Rahmen zu einer solchen Sicht entwarf under anderem der US-Amerikaner Howard Bloom mit seinem Konzept der sozialen Intelligenz. Siehe dazu auch den Artikel kollektive Lernmaschine ↗


Fußnoten


  • [1] Utz-Peter Reich: Folgen einer Kernexplosion in der Nordsee. In: Carl-Friedrich von Weizsäcker (Herausgeber): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. Carl Hanser Verlag. München. 1970. 700 Seiten. ISBN: 3-446-11081-X. Dort die Seiten 677 bis 689.
  • [2] Die kühle Logik des Friedens durch gegenseitige Abschreckung wurde mit der Formel der zugesicherten gegenseitigen Zerstörung auf den Punkt gebracht. Der englisch Begriff mutually asserted destruction unterstreicht das Irrationale in dieser Rationalität mit der treffenden Abkürzung MAD ↗
  • [3] atü ist kurz für atmosphärischer Überdruck, entspricht einem absoluten Druck von zwei bar ↗
  • [4] Glasstone, ed., The effects of nuclear weapons, Washington D. C. 1962.
  • [5] R. Winkel: Die Sturzwelle oder Bore. In: Die Bautechnik. 1936. Dort die Seite 253.
  • [6] Meint der Verfasser mit einer cal tatsächlich eine Kilokalorie? Eine Kalorie sind etwa 4,2 Joule, eine Kilokalorie etwa 4200 Joule. Wenn der Verfasser argumentiert, dass 20 Kalorien die kinetische Energie von einem Kubikzentimeter auf Überschallgeschwindigkeit brächten, das Wasser aber die Energie kinetisch so schnell nicht aufnehmen könne, und daher verdampfe, sind wohl im Rückschluss eher Kilokalorien gemeint.
  • [7] Carl-Friedrich von Weizsäcker (Herausgeber): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. Carl Hanser Verlag. München. 1970. 700 Seiten. ISBN: 3-446-11081-X. Dort in der von Weizsäcker verfassten Einführung "Ziel und Methode der Unterschung". Seite 5. Siehe auch Carl Friedrich von Weizsäcker ↗
  • [8] Die Einengung der Interessen auf räumlich, zeitlich oder thematisch eng begrenzte Bereiche ist hier näher betrachtet in dem eher spekulativen Artikel zum Lokaloid ↗
  • [11] Um 1982 hörte ich viel auf einem Kassetten-Rekorder Udo Lindenbergs Lied "Grande Finale". Zu schwungsvoller Musik erzählte Lindenberg die Geschichte eine weltweiten Atomkriegs. Der Text ist die mit Zynismus in Form guter-Laune-Musik Erkenntnis von Weizsäckers, dass die Menschen sich doch vor allem den Interessen des Tages hingegen.