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Nebelkammer

Teilchenphysik

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Basiswissen


Als Nebelkammer wird in der Physik ein Teilchendetektor bezeichnet, der dem Nachweis von ionisierender Strahlung dient und für manche Teilchen dabei auch deren Weg sichtbar macht. Nebelkammern gibt es seit dem frühen 20ten Jahrhundert.[1][2] Nebelkammern werden heute fast nur noch zu Demonstrationszwecken verwendet.



Bildbeschreibung und Urheberrecht
Elemenarteilchen hinterlassen oft Spuren in Nebelkammern. Die Form dieser Spuren erlaubt Rückschlüsse über die Teilchenart. Die dicken Streifen gehören zu den schweren und langsamen Alphateilchen, die langen dünnen Spuren gehören zu den leichten schnellen Betateilchen: die Spuren wurden in einer Nebelkammer der DESY in Hamburg sichtbar gemacht. © DESY ☛


Die historische Idee


Die Idee, mit Hilfe von Luft, die mit Wasserdampf übersättig ist, die Bahn von mikroskopisch oder submikroskopisch kleinen Teilchen sichtbar zu machen, wurde schon im Jahr 1896 formuliert:

ZITAT:

"In einem Aufsatz über „Die Wolkenbildung in Abwesenheit von Staub“, der am 13. Mai 1895 vor der Cambridge Philosophical Society gehalten wurde, zeigte ich, dass in bewölkten Räumen Kondensation in Abwesenheit von Staub stattfindet, wenn gesättigte Luft eine plötzliche Ausdehnung erfährt, die einen bestimmten kritischen Wert überschreitet. Ich fand heraus, dass Luft, die der Einwirkung von Röntgenstrahlen ausgesetzt ist, sich genauso stark ausdehnen muss wie normale Luft, damit Kondensation stattfinden kann. Diese Strahlen bewirken jedoch eine stark zunehmende Anzahl der gebildeten Tropfen, wenn die Ausdehnung das zur Kondensation erforderliche Maß übersteigt. Unter normalen Bedingungen fällt, wenn die Ausdehnung den kritischen Wert überschreitet, ein Schauer feinen Regens, der sich innerhalb weniger Sekunden legt. Findet jedoch die gleiche Ausdehnung statt, während die Luft der Einwirkung der Strahlen ausgesetzt ist oder unmittelbar danach, sind die Tropfen zahlreich genug, um einen Nebel zu bilden, der einige Minuten bestehen bleibt."[4]

Von dieser Idee ausgehend baute der Engländer C. T. R. Wilson dann gezielt eine Nebelkammer zur methodischen Untersuchung der Bahnen unsichtbarer Teilchen.[2]

Funktionsprinzip


Gase sind üblicherweise unsichtbar. Wasser- und Alkoholdampf beispielsweise sind in Luft nicht sichtbar. Luft kann aber nur einen bestimmten Anteil an Wasser oder Alkohl in Gasform aufnehmen. Wird der Anteil überschritten, beginnt die Gasanteile auszukondensieren, das heißt: sie bilden kleinste flüssige Tröpfchen in der Luft. Diese Tröpfchen sind dann als Nebel sichtbar. In einer übersättigten Luft findet aber der Kondensationsvorgang nicht direkt von alleine statt. Es müssen erst sogenannte Kondensationskeime vorhanden sein: kleine Staub- oder sonstige Teilchen. Schießt man nun physikalisch kleinste Teilchen in eine Kammer mit einem übersättigtem Gemisch aus Wasser-Alkohol-Dampf, dann wirken die Teilchen als Kondensationskeime. Effektiv sind dabei weitgehend nur elektrisch geladene Teilchen. Entlang ihrer Flugbahn bildet sich dann eine sichtbare Nebelspur. Siehe auch relative Luftfeuchtigkeit ↗

Interpretation der Spuren


Mit der Nebelkammer hatte man plötzlich eine Möglichkeit, scheinbar wie als Film aufgzeichnet, die Flugbahn kleinster unsichtbarer Teilchen sichtbar zu machen. In den 1920er Jahren, der Pionierzeit der Quantenphysik, gab es damit ein Gerät, das sehr für die Existenz von kleinsten Teilchen und von ihnen durchflogener Bahnen sprach:

ZITAT:

"Zweifellos entziehen sich die Teilchen, die wir uns als letztes Konstitutiv der Materie vorstellen, unserer direkten Wahrnehmung; ihre unglaubliche Winzigkeit macht sie für unsere stärksten Instrumente unzugänglich. Und doch erreicht die wunderbare Methode, die von C. T. R. Wilson etabliert wurde, einen solchen Grad an Subtilität, dass sie es uns ermöglicht, ein einzelnes Atomteilchen zu studieren, das sich mit großer Geschwindigkeit bewegt. Wir sehen es nicht, aber durch eine mit Wasserdampf übersättigte Atmosphäre verfolgen wir seine Spur durch die Kondensation, die sein Durchgang hinterlässt, und dieses Bild ist so treu, dass wir die Geschichte eines isolierten Teilchens in allen Einzelheiten kennen. Wir können so die Flugbahn eines Elektrons oder eines Alpha-Teilchens fotografieren, das wie eine Kanonenkugel Kerne und Elektronen durcheinanderwirbelt, und wir stellen fest, dass die Stöße dieses unsichtbaren Geschosses den Gesetzen der mikroskopischen Mechanik entsprechen."[2]

Und man konnte durch Anlegen von Magnetfeldern die sich bewegenden Teilchen sogar auf ihre elektrischen Eigenschaften untersuchen. Bekanntlich können elektrisch geladene Teilchen, die sich relativ zu einem Magnetfeld bewegen, von diesen in der Richtung (nicht der Geschwindigkeit!) ihrer Bewegung beeinflusst werden. Und je mehr Masse ein Teilchen hat, desto träger ist. Mit diesen beiden Grundstäzen kann man von der beobachten Bahn Rückschlüsse auf die elektrische Ladung und die Masse der Teilchen ziehen. Die entsprechende rechnerische Grundlage bieten die Gesetze rund um die sogenannte Lorentzkraft ↗

Alpha-Teilchen


Heliumkerne: sie erzeugen dicke, fast gerade Spuren von nur wenigen Zentimetern Länge. Obwohl sie aufgrund ihrer Ladung zwar prinzipiell von Magnetfeldern abgelenkt werden, beträgt ihr Bahnradius infolge der hohen Masse der α-Teilchen meist mehrere Meter, so dass ihre Bahnen praktisch gerade erscheinen.

Beta-Teilchen


Elektronen: sie erzeugen dünne, gekrümmte Spuren mit wenigen Zentimetern Länge. Oft entstehen auch Knicke in der Bahn. Da Beta-Teilchen nichts anderes als Elektronen sind, haben sie eine geringe Masse und sind damit auch leicht ablenkbar.
Beta-Plus-Teilchen (Positronen) erzeugen wie auch die „normalen“ negativ geladenen Betateilchen dünne gekrümmte Spuren, die jedoch nun in dieselbe Richtung gebogen sind wie bei α-Teilchen (siehe Abb.). Da Positronen in der natürlichen Umgebungsstrahlung allerdings kaum vorkommen, benötigt man zu ihrer Erzeugung radioaktive Präparate wie etwa Natrium-22.

Gammastrahlung


Ungelandene, hochenergetische Quanten: sie erzeugen in der Nebelkammer keine bzw. nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit Spuren: Da Gammastrahlung selbst ungeladen ist, kann sie nur indirekt nachgewiesen werden, etwa dadurch, dass sie in Sekundärprozessen (Photoeffekt oder Comptoneffekt) wieder geladene Teilchen erzeugt. Da die Dichte des Luft-Alkohol-Gemischs in einer Nebelkammer jedoch recht niedrig ist, ist auch die Wahrscheinlichkeit solcher Sekundärprozesse im Fall der Nebelkammer gering.

Neutronenstrahlung


Ungeladene Teilchen: sie erzeugt in der Nebelkammer ebenfalls keine bzw. nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit Spuren: Da sie wie die Gammastrahlung selbst ungeladen ist, kann auch sie in diesem Fall nur indirekt nachgewiesen werden.

Wie werden Teilchen heute detektiert?


Nebelkammern wurde später durch Blasenkammern verdrängt. Heute werden aber auch Blasenkammern kaum mehr verwendet. Je nach Anwendung existieren heute eine Vielzahl verschiedener Teilchendetektoren ↗

Fußnoten


  • [1] Wilson Charles Thomson Rees 1896VI. The effect of Röntgen’s rays on cloudy condensationProc. R. Soc. Lond.59338–339
http://doi.org/10.1098/rspl.1895.0101
  • [2] Wilson, C. T. R. (9 June 1911). "On a Method of Making Visible the Paths of Ionising Particles through a Gas". Proceedings of the Royal Society of London A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences. 85 (578): 285–288.
  • [3] Das französische Original: "Certes, les particules que nous imaginons comme constituant ultime de la matière échappent à notre perception directe ; leur prodigieuse petitesse les rend inaccessibles à nos instruments les plus grossissants. Et cependant, la merveilleuse méthode établie par C. T. R. Wilson atteint un tel degré de subtilité qu'elle nous permet l'étude individuelle d'une particule atomique animée d'une grande vitesse. Nous ne la voyons pas, mais, à travers une atmosphère sursaturée de vapeur d'eau, nous suivons sa trace par la condensation que laisse son passage, et cette image est si fidèle que nous connaissons dans ses moindres détails l'histoire d'une particule isolée. Nous pouvons photographier ainsi la trajectoire d'un électron ou d'une particule alpha bousculant comme un boulet noyaux et électrons, et nous constatons que les chocs de ce projectile invisible répondent aux lois de la mécanique microscopique." In: Paul Painlevé: Les conceptions modernes de la matière et la science classique. Discours prononcé à Londres, le 15 novembre 1927 devant la « Royal Institution of Great Britain. Eine kurze Zusammenfassung des Vortrages wurde 1927 in Nature veröffentlicht: [News and Views]. Nature 120, 777–781 (1927). Für eine volle Textversion siehe auch Materie und klassische Physik (Vortrag) ↗
  • [4] Im englischen Original: "In a paper on 'The Formation of Cloud in the Absence of Dust, read before the Cambridge Philosophical Society, May 13th, 1895, I showed t at cloudy condensation takes place in the absence of dust when saturated air suffers sudden expansion exceeding a certain critical amount. I find that air exposed to the action of Roe ntgen’s rays requires tobe expanded just as much as ordinary air in order that condensation may take place, but these rays have the effect of greatly increasingthe number of drops formed when the expansion is beyond that necessary to produce condensation. Under ordinary conditions, when the expansion exceeds the critical value, a shower of fine rain falls, and th is settles within a very few seconds; if, however, the same expansion be made while the air is exposed to the action of the rays, or immediately after, the drops are sufficiently numerous to form a fog, which persists for some minutes." In: Wilson Charles Thomson Rees 1896VI. The effect of Röntgen’s rays on cloudy condensationProc. R. Soc. Lond.59338–339