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Kritische Masse

Physik

Definition


Als kritische Masse bezeichnet man diejenige Menge eines spaltbaren Materials, meist angegeben in Kilogramm, ab der sich eine Kettenreaktion selbst erhalten kann. Wesentlich für den Effekt ist, dass die erzeugten Neutronen nicht zu schnell das Objekt verlassen, sondern so lange genug in dem Objekt verbleiben, dass sie ausreichend viele neue Kernspaltungen auslösen. Das ist hier kurz erklärt.

Der Ausgangspunkt der Überlegung: die Kettenreation



Die Notwendigkeit einer kritischen Masse für die Kettenreaktion


Die Schritt-für-Schritt-Logik oben sollte zeigen: entsteht bei der Spaltung von einem Atomkern mindestens ein Neutron, das selbst wiederum mindestens eine neue Kernspaltung auslöst, dann wird sich dieser Prozess von alleine immer weiter fortsetzen. Das nennt man dann eine Kettenreaktion. Einmal angestoßen, läuft sie zumindest theoretisch unendlich lange von alleine weiter. Beschießt man ein Atom des Nuklids Plutonium-239 mit einem Neutron, dann zerfällt das Plutoniumatom in ein Atom Barium und ein Atom Strontium sowie zwei freie Neutronen. Um eine neue Kernspaltung auszulösen, müssen die frei gewordenen Neutronen nahe genug am Kern anderer Atome vorbeifliegen (Wirkungsquerschnitt). Bevor das passiert, kann es sein, dass das Neutron das Objekt aus spaltbarem Material aber bereits verlassen hat. Oder es kann sein, dass das Neutron von Atomen absorbiert wird, ohne dass dabei eine Spaltung ausgelöst wird. Stellt man sich etwa eine sehr flache und sehr große Scheibe aus zum Beispiel einem Kilogramm Plutonium-283 vor, dann werden die meisten erzeugten Neutronen die Scheibe sehr schnell verlassen haben und "durch die Luft" davon fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron so eine neue Kernspaltung auslöst, ist gering. Bringt man dieselbe Kilogrammzahl Plutonium nun in Kugelform, sieht die Sache ganz anders aus: hier ist die durchschnittliche Weglänge die ein Neutron bis zum Kugelrand zurücklegen muss sehr viel größer als bei der flachen Scheibe. Entsprechend größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Neutron auf seinem Weg zum Kugelrand ein Spaltung auslöst. Jetzt ist dennoch denkbar, dass auch hier die durchschnittliche Weglänge noch nicht ausreicht. Wenn man jetzt aber bei der Kugelform bleibt, aber die Menge an Plutonium erhöht, also immer größerer Kugeln denkt, dann wird auch die durschnittliche Weglänge immer größer. Und ab einer bestimmten Kugelmasse ist diese durchschnittliche Weglänge groß genug, dass mindestens jedes frei gewordene Neutron im Durschnitt auch wieder eine neue Kernspaltung auslöst. Diese Mindestmasse, die man für eine Kettenreaktion benötigt ist die kritische Masse. Sie liegt für reines Plutonium-239 in Kugelform und ohne sonstige technische Maßnahmen bei etwa 10 Kilogramm. Warum eine größere Kugelmasse auch eine größere mittlere Weglänge ergibt, erhellt sich auch aus dem Gesetz vom Flächen- und Volumenwachstum ↗

Was bedeutet die Schreibweise Uran-239 oder ²³⁹Uran?


²³⁹Uran,auch geschrieben als Uran-239, bezeichnet ein Uran-Atom mit genau 239 Kernbausteinen. Die 239 ist die sogenannte Massenzahl. Die Kernbausteine können Neutronen oder auch Protonen sein. Uran hat immer 92 Protonen. Das ist die Ordnungszahl, auch Kernladungszahl genannt. Mit einer Ordnungszahl von 92 hat Uran also immer genau 92 Protonen. Die restlichen 147 Kernbausteine sind dann zwangsläufig Neutronen. Es gibt aber auch ²³⁵Uran mit 142 Neutronen oder oder ²³⁸ Uran mit 146 Neutronen. Die Atome derselben Sorte mit unterschiedlicher Neutronenzahl nennt man auch Isotope. Interessieren nur über die Atomkerne, spricht man von Nukliden. Im Bezug auf die kritische Masse wichtig ist, dass die unterschiedlichen Nuklide auch unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für eine Kernspaltung haben. Siehe mehr zu diesem Thema unter Nuklid ↗

Was sind große und kleine Werte für die kritische Masse?


Dazu gibt es verschiedene technische Möglichkeiten. Zum ersten haben unterschiedliche Atomsorten unterschiedliche kritische Massen. Sie unterscheiden sich darin sehr stark. Sehr wenig sind zum Beispiel die theoretisch berechneten 4,27 Kilogramm für Californium-254[3] als reine Kugel ohne sonstige Hilfsmittel. Viel wären die die theoretisch ermittelten 57,6 bis 75,6 Kilogramm für 241 Americium[3]. Waffenfähiges Uran-235 hat als reine Kugel ohne sonstige technische Hilfsmitte etwa 49 Kilogramm[3], waffenfähiges Plutonium-239 liegt bei rund 10 Kilogramm[3].

Ein Moderator verringert die kritische Masse


Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Neutron eine Kernspaltung auslöst hängt unter anderem von der Geschwindigkeit des Neutrons ab. Es gilt die Faustregel, dass langsame Neutronen eher Kernreaktionen auslösen als schnelle Neutronen. Aus diesem Grund kann man dem spaltfähigen Material Stoffe zusetzen, die die Neutronen nicht absorbieren aber verlangsamen. Dieses Verlangsamen nennt man in der Physik moderieren. Typische solche Stoffe sind Bor, schweres Wasser, Paraffin, Graphit oder auch Kunststoffe. Ein solch moderierender Stoff heißt in der Kernphysik Moderator ↗

Ein Reflektor verringert die kritische Masse


Eine zweite Möglichkeit zur Verringerung der kritischen Masse ist die Verwendung von einem sogenannten Reflektor: ein Reflektor wird Strahlung ganz oder teilweise wieder zurück. Umgibt man zum Beispiel eine Kugel aus spaltbarem Material ganz mit einem Reflektor, so wird ein Teil der Strahlung, der die Kugel verlassen hat, wieder in die Kugel zurückgeworfen. Damit hat ein Neutron eine höhere Wahrscheinlichkeit eine Spaltung auszulösen. Ein früh verwendeter Reflektor war Wolframcarbid, später kamen auch Uran-283 sowie Beryllium hinzu. Siehe auch Reflektor ↗

Die erste Atombombe der Welt: 6 kg


Die erste gezündete Atombombe war das sogenannte "Gadget" (das Gerät). Die Test-Explosion wird als Trinity-Test bezeichnet und fand am 16. Juli 1945, gegen Ende des zweiten Weltkrieges in einer Wüste in den USA statt. Die Bombe enthielt rund 6 Kilogramm Plutonium-239. Davon explodierten aber nur rund 15 %. Der Rest wurde während der Explosion selbst verdampft und hat sich dann in der Wüste von Neu-Mexikon abgesetzt[2]. Je nach geometrischer Anordnung und je nach dem verwendeten Reflektormaterial und -dicke werden für Plutonium-239 kritische Massen von etwa 4,5 bis rund 10,0 angegeben. Das passt sehr gut auf die historische Menge Plutionium in der Trinity-Bombe.

====Oft schwierig messbar, z. B. Plutonium-238: 4,7 kg
Von dem gut spaltbaren und giftigen Material Plutonium genügen 4,7 Kilogramm, um damit eine Kettenreaktion auszulösen. Dieser Wert wurde jedoch rein theoretisch bestimmt und ist schwer experimentell überprüfbar[1]. Der Grund dafür ist, dass Plutonium-238 stark radioaktiv ist und mit 0,557 Watt pro Gramm eine große Menge an Wärme produziert. Plutonium-238 hat eine Dichte von etwa 19,84 g/cm³. Das heißt, dass eine Kugel mit 4,7 Kilogramm einen Durchmesser von etwa 7,7 Zentimetern hat (weniger als ein Zeigefinger lang ist). Diese kleine Kugel würde eine Wärmeleistung von rund 2618 Watt produzieren. Die Kugel würde schnell durch ihre eigene Hitzeproduktion schmelzen. Zur Bestimmung der kritischen Masse nutzt man hier vor allem Simulationsprogramme, die auf schnellen Computern laufen. Der Effekt der starken Hitzeproduktion ist seit den frühen 1900er-Jahren bekannt und inspirierte das erste Buch über eine Art Atombombe. Siehe dazu auch Poloniumbombe ↗

Fußnoten