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Schwarmintelligenz


🐜Eine Kritik


Definition


Schwarmintelligenz ist ein Sonderfall von kollektiver Intelligenz. Während bei einer kollektiven Intelligenz die einzelnen Individuen sehr unterschiedlich sein können (z. B. Menschen + Roboter + Algorithmen) sind die Individuen bei Schwärmen weitgehend ähnlich, oft ohne funktional wichtige Individualität. Das ist hier näher definiert und als Leitidee für menschliche Gesellschaften auch hinterfragt.

Ameisen als Schwarmintelligenz


Das klassische Beispiel für die Schwarmintelligenz ist die Wegfindung von Ameisen. Ameisen hinterlassen beim Gehen Duftstoffe, sogenannte Pheromone. Diese Duftstoffe verdunsten mit der Zeit. Ameisen gehen bevorzugt Wege mit starkem Duft (Stigmergie). Dieser einfache Mechanismus kann helfen, wie Ameisen den kürzesten Weg zwischen Nest und Futterquelle finden.

Bakterien als Schwarmintelligenz


In einem längeren Kapitel[9, Seite 25 ff.] über sogenannte Stromatolithen aus der erdgeschichtlich frühen Zeit des Präkambriums beschreibt der US-amerikanische Autor Howard Bloom, wie diese Bakterien, sogenannte Prokaryoten oder spezieller Cyanobakterien, sich wechselnden Umweltverhältnissen anpassen. Der Lebensraum sind sogenannte "Gezeitentümpel des Meeres". Die Bakterien, so Bloom, hatten damals bereits die Arbeitsteilung entdeckt[9, Seite 26]. Manche Individuen trieben Photosynthese und legte Vorräte von ATP, einen Energiespeicher an. Dabei lagerten die Bakterien nutzlose Überreste in "potentiell giftigen Abfallbergen" ab. Die Kolonien wachsen dabei "wellenförmig von einem Zentrum" aus[2]. Das kommt so[9, Seite 27 ff.]: die ersten Generationen der Kolonie waren noch sesshaft. Doch wenn die Ressourcen vor Ort aufgebraucht sind, erzeugt die Kolonie bewegliche Nachkommen, die "Umherstreifer", die ringförmig um die alte Siedlung ausschwärmen. Treffen diese auf neue Ressourcen, werden sie sesshaft. Dabei gehen die Baktieren nicht als Einzelkämpfer vor, sondern benutzen verschiedene Signalmittel für die Kommunikation wie etwa chemische Ausschüttungen oder Fragmente von genetischem Material. Stößt ein Bakterium etwa auf unfruchtbares Gebiet, dann sendet es vor seinem Hungertod noch Signale aus, um andere Bakterien vor diesem Ort zu warnen. Und auch erfolgreiche Bakterien senden Signale aus, die dann aber andere Bakterien anlocken. Darüberhinaus können Bakterien ihr eigenen Gene verändern und nutzen dazu Plasmide, Vektoren und Phagen[9, Seite 31]. Sie können dabei als "modulares Netzwerk"[9, Seite 32] lernen wie man sich auf einem neuen Untergrund bewegen kann. Die Bakterien reaktivieren nicht nur altes Wissen, sie erschaffen kreativ neue Fähigkeiten. Siehe auch kollektive Lernmaschine [nach Howard Bloom] ↗

Notwendige Eigenschaften einer Schwarmintelligenz



Weitere Beispiele


Biologische Insektenstaaten, Fischschwärme, menschliche Gesellschaften oder Teile davon, roboterhafte Swarmbots: siehe mehr unter Schwarmintelligenzen ↗

Mathematik der Schwarmintelligenz


Die Entwicklung von Schwarmintelligenz-Algorithmen ist ein Forschungsgebiet. Mathematik und Statistik spielen dabei eine große Rolle. Es gibt eigene Forschungsjournale dafür. Typische Stichworte sind Ant Robotics, Swarm Bots, Distributed Intelligence oder - allgemeiner gefasst Komplexes adaptives System ↗

Wie real sind Schwarmintellligenzen?


Reale Schwarmtiere weisen oft ein hohes Maß an Differenzierung auf. Die einzelnen Individuen können nicht als gleichartig modelliert werden. Entsprechend allgemeiner ist der Begriff kollektive Intelligenz ↗

Schwarmintelligenz und Emergenz


Schwarmintelligenz ist ein klassisches Beisiel für das Phänomen der Emergenz: Einzelteile eines Systems wirken so zusammen, dass plötzlich Phänomene und Eigenschaften des Gesamtsystems entstehen, die in keinem der Einzelteile vorher angelegt waren. Wenn sich diese emergenten Phänomene kausal determiniert ergeben und in einer deterministischen Simulation nachgestellt werden können, spricht man von einer schwachen Emergenz. Ist das nicht möglich spricht man von einer starken Emergenz ↗

Schwarmintelligenz als soziologisches Vorbild?


Schwarmintelligenz wird oft als Vorbild für Gesellschaften verwendet[1]. Dabei wird oft unkritisch hingenommen, dass der Schwarmnutzen immer auch dem Individualnutzen entspricht. Das ist eine zutiefst naive Sicht. Oft gilt gilt das Gegenteil: das Optimum für den Schwarm ist für einzelne Individuen sehr nachteilig. So schreibt der belgische Schriftsteller Maurice Maeterlinck detailliert über die nüchterne Kühle mit der Bienen ihre Artgenossinnen behandeln, wenn dies für den Bienenstaat als Ganzes nützlich erscheint[2]. Mehr dazu steht in einem Vortrasmanuskript zur zweischneidigen Ethik der Scharmintelligenz => pdf

Die Gefahr individueller Degeneration


Verschiedene Autoren, oft naturwissenschaftliche geprägte Fachleute, haben bedrohliche Szenarien für die Rolle des Menschen als Teil einer kollektiven oder einer Schwarmintelligenz untersucht. Die Kritkik läuft im Kern immer darauf hinaus, dass der Mensch den Überblick und die Kontrolle preisgibt und sich als Individuum relativ zum Schwarm zurückentwickelt. Diese Befürchtung führt zum Beispiel zur Idee von einem Homo integratus degeneratus ↗

Die Ästetik des Schwarms: Søren Solkær


Der dänische Photograph Søren Solkær hat auf vielen Filmen große Schwärme von Staren mit bis zu 100 Tausend Individuen festgehalten. Die Bewegungen des Schwarms als Ganzes erinnern an tanzende Lebewesen. Man kann unmittelbar fühlen, wie der Schwarm als Ganzes an ein einzelnes Lebewesen erinnert.[4]

Aus Simplizität wird Komplexität


Social insects - ants, bees, termites, and wasps - can be viewed as powerful problem-solving systems with sophisticated collective intelligence. Composed of simple interacting agents, this intelligence lies in the networks of interactions among individuals and between individuals and the environment. So beschreiben die Autoren eines Standardwerkes zum Thema[6] einen besonderen Reiz: aus simplen, miteinander interagierenden Agenten entsteht eine Intelligenz, die eher im Netzwerk der Interaktionen und zwischen den Individuen und der Umwelt angesiedelt ist als in den Individuen selbst. Hier drängt sich die Analogie zu künstlichen neuronalen Netzen auf. Die einzelnen Neuronen sind bemerkenswert einfache mathematische Gebilde. Die oft überragende Intelligenz der Netze scheint auch dort ganz aus der Interaktion der Neuronen, dem Netz an sich zu emergieren. Siehe auch künstliches Neuronales Netz ↗

Die Kolonie als Vorstufe


Kolonien von Seevögeln auf einem Meeresfelsen: wo Lebewesen räumlich eng aber funktional weitgehend getrennt zusammenkommen spricht man in der Biologie von einer Kolonie. Wesentlich ist, dass die Individualität der Individuen klar erkennbar bleibt[7]. Siehe auch Kolonie (Biologie) ↗

Der nächste Schritt: Superorganismus


Insektenstaaten werden von manchen Autoren als eigenständige Organismen bezeichnet[8]. Solange man sie noch als Verbund einzelner Individuen ansieht, spricht man eher von einer Schwarmintelligenz. Wesentlich für einen Schwarm ist, dass die Individuen keine dauerhafte Arbeitsteilung eingerichtet haben. In dem Maß wie aber die Individuen immer unterschiedlicher werden, etwa bei Bienenstaaten, und eine starke Arbeitsteilung einrichten, spricht man zunehmend von einem Superorganismus ↗

Fußnoten