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Sapir-Whorf-Hypothese


Sprache und Denken


Basiswissen


Sprache beeinflusst Denken: das ist die Kernaussage der Sapir-Whorf-Hypothese. Daraus folgt, dass Angehörige verschiedener Sprachen auch anders denken und daraus wiederum folgt, dass nicht alle Worte aus einer Sprache deckungsgleich in einer andere Sprache übersetzt werden können, selbst dann, wenn sich die äußeren Lebensrealitäten gleichen. Das ist hier am Beispiel der Mathematik und Physik näher vorgestellt.

Sapirs Ansatz: eine enge Verbundenheit von Sprache und Kultur


Im Jahr 1916 veröffentlichte der Amerikaner Sapir eine Schrift, in der er die zeitliche Entwicklung von Indiander-Stämmen untersuchte. Als ein wertvolles Mittel betrachtete er die Sprache. So führte beispielsweise an, dass Ortsnamen mit der Zeit ihre beschreibende Wirkung verlieren und irgendwann nur noch Selbstzweck sind. Im Deutschen etwa denkt man bei dem Ortsnamen Rodenbach nicht mehr sofort zwangsläufig an eine Rodung eines Waldes. Und bei Warnemünde fragt man nicht mehr automatisch danach, welcher Fluss dort mündet. Je länger nun ein Stamm an einem Ort lebte, desto mehr verschwindet der enge beschreibende Bezug von Ort und Ortsname. Damit konnte Sapir im Umkehrschluss abschätzen, ob ein Stamm schon längere Zeit an einem Ort wohnt oder erst kürzlich dorthin gezogen ist[1, Analysis of Place Names]. Sapir betont, dass sich die Kultur eines Stammes in der Sprache deutlich wieder spiegelt, nicht aber, dass umgekehrt, die Sprache aus das Denken beeinflusst.

Sprachrelativismus in den Naturwissenschaften


AlS Sprachrelativismus bezeichnet man die Position, dass jede sprachliche Äußerung mit Bezug auf, das heißt relativ zur verwendeten Sprache gedeutet werden muss, also nicht für sich alleine ohne linguistischen Kontext zuverlässig ist. Der Physiker und Philosophie Carl Friedrich von Weizsäcker untersuchte in einem kurzen Aufsatz die Frage, wie die jeweilige Sprache aus das Denken in naturwissenschaftlichen und mathematischen Bereichen beeinflussen könnte[3]. Von Weizsäcker sprach von einer „Sprachbezogenheit der Denksysteme“. Von Weizsäcker beruft sich ausdrücklich auf Benjamin Lee Whorf[3, Seite 7]. Die folgenden Aspekte stammen aus dem Aufsatz von Weizsäcker.

Fehlende Abstraktionen bei Naturvölkern


Im Hebräischen, so Weizsäcker, hätten die Verben keine Tempora. Und im Chinesischen gebe es keine Flexionen. In »primitiven« Sprachen fänden gewisse Abstraktionen nicht statt. Der laufende und der sitzende Hase würden zum Beispiel mit ganz unterschiedlichen Worten bezeichnet, ähnlich wie in der deutschen Jägerspräche die Ohren von Hasen (Löffel) und Rehen (Lauscher). Was aber an Abstraktion fehlt, werde oft durch detailreiche Ausdifferenzierung von Beobachtungen wettgemacht.[3, Seite 7]

Kein Zahlensystem ohne Vorratshaltung oder Handel?


Die US-amerikanische Sprachforscherin Claudia Zaslavsky vermutet, dass Menschen der Jäger-und-Sammler-Stufe kein Bedürfnis nach Zahlensystemen hatten. Erst mit Handel und Vorratswesen sei die Notwendigkeit zum zählen und vergleichen aufgekommen. Worte für größere Zahlen und Mengen wären dann erst mit dem Aufkommen komplexerer Gesellschaftsstrukturen entstanden. Als Beispiel dafür nennt sie das alte Reich Kush südlich von Ägypten und die alte Zivilisation von Ghana sowie die Handelsstädte Timbuktu und Djenne[5, Seite 347].

Das Altgriechische verleitete zum Philosophieren


Für die indoeuropäischen Sprachen, so von Weizsäcker, sei die Subjekt-Prädikat Struktur typisch und diese kennzeichne auch die aristotelische Logik[3, Seite 7]. Das Altgriechische habe durch die Existenz bestimmter Artikel zu einer Überhöhung, Weizsäcker spricht von einer Hypostasierung hin zum Absoluten verleitet. Aus einzelnen Hunden oder schönen Dingen würde so über das grammatische Konstrukt »Der Hund« oder »Das Schöne« die Ideenlehre Platons vorbereitet, die ja nach DEN allerhöchsten Begriffen udn Ideen sucht. Diese griechische Denkrichtung wurde dann über 1000 Jahre später in Westeuropa auf die Spitze getrieben durch das sogenanne Universalienproblem ↗

Die Formelsprache als Scheinlösung?


Es gebe, so von Weizsäcker, eine Denkrichtung, die die Sprachabhängigkeit des Denken als Mangel empfinde. Die Lösung des Problems sieht diese Denkrichtung in der stark abstrahierten Sprache der formalen Logik. Doch das ist nach Weizsäcker bloß eine Scheinlösung: „jede formalisierte »Sprache«, um überhaupt etwas zu bedeuten, einer Deutung bedarf, bei der wir unsere Vermögen, uns zu verständigen, das wir abgekürzt als die Umgangssprache bezeichnen mögen, schon benützen müssen. Wir entgehen also der Problematik der »Umgangssprache« nicht.[3 Seite 6]“. Man muss also letzten Endes verbalisieren ↗

Die Reduzierung des Denkens durch totalitäre Systeme


Der englische Autor George Orwell ist vor allem bekannt für seine Dystopie »1984« sowie seine Anklage der sowjet-Revolution in seinem Bestseller »Farm der Tiere«. Neben diesen Büchern schrieb Orwell aber auch eine große Anzahl von Essays und Zeitungsartikeln. Darin entwickelte er am Beispiel seiner Zeit (1920er bis 1950er Jahre), wie Politik, Werbung und eine nachlässige Alltagskultur die Sprache auf vage aussagelose Phrasen reduzieren. Orwell zufolge wäre es möglich, eine Sprache, das sogenannte Neusprech, zu erschaffen, in der bestimmte Denkinhalte unmöglich werden, etwa das Aufdecken von Widersprüchen. Lies mehr zu Orwells Kunstsprache im Artikel Doppeldenk ↗

Das reduzierte Denken in der Industriegesellschaft


Der deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse veröffentlichte in den 1960er Jahren sein sehr einflussreiches Werk über den sogenannten eindimensionalen Menschen. Marcuse zeichnete darin das düstere Bild von Menschen, deren Sprache und Denken sich immer mehr dann prozesshaften Abläufen im Produktionsapparaten angleicht. Statt nach der Bedeutung zu fragen (was ist eine Depression in der Psychologie), ersetzt man die Definition durch eine Ablauf: Depression ist das was herauskommt, wenn man einen psychologischen Test dazu gemacht hat. Die Sprache des eindimensionalen führt zu einer „Abriegelung“ von alternativen Denkweisen. Lies mehr zu Marcuses Kritik der Sprache im Artikel Der eindimensionale Mensch ↗

Kosmische Arroganz in allen Sprachen?


Der Physiker und Astronom Carl Sagan sieht die Arroganz des Menschen, eine Sonderrolle im Universum zu spielen, in vielen Sprachwendungen eingebrannt: „die Sonne geht auf“ deutet - fälschlicherweise - an, dass wir als Erde stillstehen und die Sonne um uns als Mittelpunkt herumwandert. Auch der bestimmte Artikel in alltäglichen Wendungen wie „die Welt“, „die Sonne“ oder „der Mond“ deuten eine Sonderrolle der uns am nächsten stehenden Himmelskörper im Universum an. Sagan zufolge ist diese sprachlich fixierte Sicht falsch. Die dahinterliegende falsche Sichtweise sei der sogenannte Anthropismus ↗

Fußnoten