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Operationalisierung


Statistik


Definition


Als Operationalisierung oder Messbarmachung bezeichnet man in den empirischen Wissenschaften eine Anleitung wie man ein theoretisches Konstrukt (z. B. "Glück") mithilfe sogenannter Indikatoren (z. B. lachendes Gesicht) eindeutig beobachten oder messen kann[4]. Das ist hier kurz mit Beispielen vorgestellt.

Der Sinn einer Operationalisierung: Politikmüdigkeit


Angenommen, man möchte die These untersuchen, dass die Bevölkerung Deutschlands in der Zeit von 2015 bis 2025 "politikmüder" geworden ist. Hat man die Idee einer Politikmüdigkeit ausreichend präzise definiert (kann man z. B. außerhalb von Parteien politisch tätig sein?), kann man sie in den Sozialwissenschaften als theoretisches Konstrukt bezeichnen. Die Idee der Operationalisierung ist es nun, dass man eine Anleitung definiert, wie man messen könnte, ob Politikmüdigkeit überhaupt vorliegt oder nicht (qualitativ) oder sogar, in welchem Maß, also wie stark die Politikmüdigkeit einer Person oder einer Gruppe ist (quantitativ). Jede konkrete Messung wird vielleicht nur einen Aspekt der gesamten Bedeutung von Politimüdigkeit abdecken. Hier sind denkbare Beispiele:


Man sieht leicht, dass jede einzelne Frage noch nicht sicher entscheiden hilft, ob jemand politikmüde ist oder nicht. Man kann zum Beispiel an keiner Wahl als Wähler teilgenommen haben, ist aber gleichzeitig sehr aktiv in der politischen Bildung von Jugendlichen. Der große Vorteil einer Operationalisierung ist, a) dass man sich selbst Klarheit schaffen muss, was genau man mit einem Begriff meinen will und b) dass die gewählte Messanleitung eindeutig ist und zum Beispiel für Vergleiche genutzt werden kann.

Anforderungen an eine Operationalisierung



1850 bis 1900: Psychophysik


Im 19ten Jahrhundert bildete sich als eigene wissenschaftliche Dsziplin die Psychophysik heraus. Sie versuchte psychologisch wichtige Phänomene mit physikalisch messbaren Eigenschaften menschlicher Körper zu verbinden. Wichtige Vertreter waren Hermann von Helmholtz und Gustav Fechner. Siehe auch Psychophysik ↗

1946: das Lesebedürfnis messen


Der englische Autor George Orwell sah sich Anfang 1946 mit der These konfrontiert, Menschen würden keine Bücher kaufen, weil sie zu teuer sind. Der Aussage zugrunde liegt, dass die Menschen seiner Zeit (direkt nach dem zweiten Weltkrieg) möglicherweise durchaus ein Bedürnis nach Literatur haben, haben sie sich nicht leisten können. Sein Gedanke war es dann, diese These messbar zu machen. Er überschlägt zunächst für sich, dass er im Durchschnitt etwa 25 englisch Pfund Geld pro Jahr für Lesen bezahlt, verglichen mit rund 40 Pfund für Zigaretten. Aus statistischen Veröffentlichungen zitiert er dann, dass durchschnittliche englische Männer im Jahr rund 40 Pfund für Alkohol und Zigaretten ausgeben. Aus der Zahl der jährlich herausgegebenen Bücher - einschließlich Schulbücher - und der geschätzten Auflage kommt er zu dem Schluss, dass der durchschnittliche englische Bürger 3 Bücher pro Jahr. Er schließt, dass es in England kein ausgeprägten Lesebürfnis gibt und der Preis von Büchern dafür nicht der Grund sein kann. So mit beobachtbaren oder messbaren Zahlen zu argumentieren nennt man empirisch arbeiten. Und eine Anleitung mit der man ein Wort wie Lesebedürfnis messbar machen kann ist eine Operationalisierung. Siehe auch Glück ↗

2000er Jahre: Glück als Lebensziel?


Woran misst man den Erfolg eines Landes? Soll man seine Wirtschaftskraft (USA im 20ten Jahrhundert) nehmen, seine Beständigkeit über die Zeit (Vatikan, China) oder vielleicht die Zufriedenheit seiner Bewohner? Während im 20ten Jahrhundert weitgehend unangefochten die Formel galt, dass eine gesunde Wirtschaft Ausdruck (BIP) erfolgreicher menschlicher Wunscherfüllung ist, werden seit den 2000er Jahren verstärkt Methoden entwickelt, die Zufriedenheit oder das Lebensglück von Menschen in einem Staat zu messen. Doch woran soll man festmachen? Soll man Menschen einen Fragebogen zur Selbstauskunft geben? Lässt die Selbstmordrate oder die Anzahl psychischer Behandlungsfälle Rückschlüsse zu? Eignen sich Lebensalter, Kinderzahl oder der Drogen- und Alkohlkonsum als Indiktoren? Um Glück oder Zufriedenheit statistisch-empirisch greifbar zu machen, muss man eine genaue Messmethode definieren, ein Wort wie Glück als operationalisieren. Siehe als Beispiel den World Happiness Report ↗

2016: IQ und Moral messen


Macht ein höherer IQ Kinder einfühlsamer und moralischer? In einer Studie mit 62 Kindern aus Grundschulen und 67 Kindern[8], die von ihren Lehrern als begabt bezeichnet wurden untersuchten die Autoren den Zusammenhang zwischen Intelligenz und moralischem Urteilen bei Kindern. Für die Studien wurden den Kindern vier Bildergeschichten gezeigt. Es ging um ein verweigertes Teilen mit jemandem in Not, das Klauen von Süßigkeiten, das bösartige Verstecken fremden Eigentums und um Hänseln. Die Kinder wurden dann gefragt, a) ob das OK war, was da passierte, b) warum das so passiert ist, c) wie sie sich selbst als Opfer gefühlt hätten, d) wie sie sich als Täter gefühlt hätten. Die Antworten wurden dann verschiedenen Kategorien zugeordnet: 1) moralische Begründungen wie etwa, dass es unfair ist, ungerechtfertigt die ganze Belohnung zu bekommen, 2), Begründungen mit Sanktionen und Autoritäten, etwa dass man Ärger mit dem Lehrer bekommt, wenn man erwischt wird, c) hedonistische Begründungen wie etwa, dass ein Diebstahl OK war weil man gerne Süßigkeiten isst, und 4) unegründete Antworten der Art, dass jemand etwas tat, weil er es tat oder dass etwas nicht OK ist, weil es nicht OK ist. Das Ergebns kann überraschen: für die Kinder im untersuchten Altersbereich von etwa 6 bis 9 Jahren, gab es keine statistisch greifbare Verbindung zwischen der Intelligenz und dem moralischen Urteilen[6]. Siehe auch Intelligenzquotient ↗

2023: Tierwohl messen


Im Jahr 2018 gab das Bundesagrarministerium ein Projekt in Auftrag zum Thema Tierwohl in Auftrag[2]. Das Ziel des Projektes war es, eine Methode zu entwickeln, das Wohl von Tieren in der Landwirtschaft zu messen. Damit wiederum könnte man überprüfen, ob Maßnahmen zur Verbesserung der Tierhaltung effektiv sind oder nicht. Bei Rindern zum Beispiel könnte man zählen, wie viele Lahmheiten ein Tier hat, wie viele Tiere vorzeitig sterben, wie viel Platz, Weidegang und Licht sie haben. Insgesamt hat das Team der Tierwohlforscher 250 Indikatoren für das Tierwohl zusammengestellt. Die Idee, dass Tiere ähnlich empfinden können wie Menschen bezeichnet man als Antispeziesismus ↗

Fußnoten