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Novum Organum


1620


Basiswissen


Programmatischer Entwurf der Naturwissenschaften von 1620: das Novum Organum wurde 1620 von dem englischen Staatsmann und Naturphilosophen Francis Bacon herausgegeben. Bacon vertrat darin die Ansicht, dass die Beobachtung der Natur (der physikalischen Wirklichkeit) unabdingbare Voraussetzung echter Erkenntnis sei. Diese Ansicht entwickelte sich in späteren Jahrhunderten zum sogenannten Empirismus. Das ist hier kurz mit modernen Beispielen skizziert.

Bacons Grundgedanke


4 Arten von Irrtümern, so Bacon, hielten den menschlichen Geist gefangen. Diese Irrtümer legte Bacon ausführlich dar und schlug dann als Lösung die Abkehr von einer isoliert angewandten Logik (Syllogismen) und eine Zuwendung hin zu empirischen Methoden (Induktion) vor.

Erste Art von Irrtümern: Idola tribus


Die erste Art von Irrtum nannte er auf Latein idola tribus, Irrtümer die in der menschlichen Art der Sinneswahrnehmung begründet seien. Die Sinne liefern aber kein exaktes Bild der wirklichen Dinge sondern seien immer etwas fehlerhaft. Als heutige Beispiele ließen sich viele optische Täuschungen anführen. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant trieb Bacons Erkenntnis von der Mangelhaftigkeit menschlicher Sinnensorgane konsequent hin bis zur Behaupt, dass der Mensch die wahre Dinge und Objekte gar nicht erkennen könne. Sie zu diesem Gedanken Kant im Artikel Ding an sich ↗

Zweite Art von Irrtümern: Idola specus


Die zweite Art von Irrtum, Idola specus, greift Platon Höhengleichnis auf und sieht den Menschen in einer Höhe lebend, in denen seine Urteilskraft geprägt sei von Erziehung, Stimmungen, dem Umgang mit anderen Menschen und Büchern. In scharfer Form trieb diesen Vorwurf der Franzose La Mettrie über 100 Jahre nach Bacon auf die Spitze[3]. Bacons Warnung, dass wir in unseren Urteilen getrübt werden von sozialen Einflüssen kommt der modernen Idee eines Denkkollektivs[4] recht nahe oder auch einem Echoraum ↗

Dritte Art von Irrtümern: Idola fori


Die Idola fori ergeben sich aus der fehlerbehafteten menschlichen Kommunikation durch Sprache. Sprache sei nicht nicht präzise und genau und führe so zu Missverständnissen.

Vierte Art von Irrtümern: Idola theatri


Zuletzt nennt Bacon die Idola theatri, die falsche Lehrmeinungen von philosophischen Schulen darstellen und aus der aufgeblähten Verwendung reiner Wortkonstrukte ohne empirischen Bezug gründen.

Syllogismen als irreführendes Denkinstrument


Im Aphorismus 14 schreibt Bacon „… Der Syllogismus besteht aus Sätzen, die Sätze aus Worten und Wörter bezeichnen Begriffe. Doch wenn nun die Begriffe selbst (und das ist der Kern der Sache) verwechselt werden mit den Dingen selbst und von diesen haltlos abgeleitet werden, kann nichts darauf Bauendes solide sein.“ Siehe auch Syllogismus ↗

Ismen auf Materie aufbauend als warnendes Beispiel


Ein passendes Beispiel für die Gefahr von rein ad hoc angenommenen Begriffen ist die Idee von Materie. Bacons Zeitgenosse, Rene Descartes, teilte um 1641 die Welt ein in eine denkende Substanz und eine aus ausgedehnte Substanz, das was wir heute Materie nennen würden. Auf dieser Trennung bauten in späteren Jahrhunderten wirkmächtige Gedankengebäude auf, wie etwa der Idealismus oder der Materialismus und der freiheitsverneinende Determinismus. Wie sehr Bacon recht hatte mit seiner Warnung zeigt jedoch die Zerrieselung des klassischen Materiebegriffs in der modernen Quantenphysik. Hier lassen sich Materie und Wahrnehmung, res extansa und res cogitans kaum bis gar nicht mehr sicher unterscheiden. Jedes Gedankengebäude, aufgebaut auf einem naiven Begriff von Materie, läuft Gefahr völlig ins Leere zu gehen. Siehe auch Materie ↗

Die induktive Methode als Hoffnung


Francis Bacon zufolge liegt ein wirksamer Schutz vor vielen Denkirrtümern in der Denkfigur der sogenannten Induktion. Bei einer Induktion sammelt man zunächst aus Beobachtungen und Experimenten und erzeugt aus diesen seine Begriffe. Als Lehrbuch-Beispiel für dieses Vorgehen kann man die Entwicklung des naturwissenschaftlichen Begriffes von Licht mit seinen vielen Modellen ansehen. Schon zu Bacons Zeit waren verwirrende Eigenschaften über Licht bekannt, die dann, noch im 17ten Jahrhundert zu vorsichtigen Modellen entwickelt wurden: Licht als Welle (Huygens) oder Licht als Teilchenstrom (Newton). Wie nützlich ein streng induktives Vorgehen sein kann, zeigt die Tatsache, dass Physiker noch im 21ten Jahrhundert nicht genau sagen können, was Licht ist und weiter auf induktive Weise Befunde zum Phänomen Licht sammeln. Siehe auch Induktion (Philosophie) ↗

Gab es auch Gegenpositionen zu Bacons Denken?


Ja, Bacons Gedanke war es, dass aus rein logischen-begrifflichen Fundamenten kein sicheres Wissen über die Welt zu erlangen sei. Eine Gegenposition war zum Beispiel die theologische Idee, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen sei und dass die Erkenntnis über unser eigenes Innenleben damit auch Erkenntnis über die Welt liefern kann. Unsere Gedanken, so die Idee, seien so geschaffen, dass sie mit der Welt in Übereinklang stünden. Desweiteren argumentierten kirchliche Autoritäten auch mit der Bibel als Erkenntnisquelle. Je nach Schärfe der Auslegung, waren etwa die biblischen Schöpfungsgeschichten wörtlich zu nehmen. Als Ausgangspunkt von Gedankengebäuden standen also nicht - wie von Bacon gefordert - Naturbeobachtungen, sondern Bibelzitate und rein geistig gefasste Begriffe. Wie standfest diese Position war und vielleicht auch ist zeigt die Tatsache, dass nach heute noch gültiger katholischer Doktrin bei Widersprüchen zwischen Glaube und Naturwissenschaft, die Naturwissenschaft falsch liegen müsse. Dem hätte Bacon sicherlich nicht vorbehaltslos zugestimmt. Zur dieser katholischen Fundamentalposition siehe auch Aeterni patris ↗


Wie neuartig waren Bacons Gedanken?


Die Gedanken selbst waren im Kern nicht neu. Bereits etwa 400 Jahre vor Bacon würdigte der Theologe und Namensgeber der heutigen Kölner Universität, Albertus Magnus (1193 bis 1360) das Tatsachenwissen über Natur. Etwa 50 Jahre später wirkte der Priester und Technik-Visionär Roger Bacon (1214 bis 1294) die Bedeutung der Empirie. Noc weiter zurück liegt die Zeit der griechischen Antike, in der Naturofscher wie Eratosthenes, Thales oder Archimedes den Beobachtungstatsachen einen hohen Rang einräumten. Neuartig an Francis Bacons Schriftstück war die klare und programmatische Fassung des Empirismus und seine klare Zurückweisung ein reiner begriff-logischen Erkenntnismethode. Zu den ideengeschichtlichen Vordenkern der induktiv-empirischen Erkenntnismethode siehe zum Beispiel im Artikel zu Bacons Namensvetter Roger Bacon ↗

Wie zuverlässig ist die induktive Methode von Bacon?


Bacon stellte mit der induktiven Methode die Beobachtung an den Anfang jeder Erkenntnis. Mindestens zwei Gründe sprechen gegen diesen Ansatz. Erstes liegt jeder Beoachtung immer eine willkürliche Annahme zugrunde, nach dem man die Sinnesdaten interpretiert. Man kann zum Beispiel die Sinnensdaten als Ausdruck einer real wahrgenommenen Außenwelt interpreterien oder als reinen Gedankenstrom, der keiner Außenwelt bedarf. Es gibt keinen Versuch, mit dem man etwa entscheiden kann, ob die Welt nur ein Traum ist oder real existiert. Auch Bacons induktive Methode kann hier keine Entscheidung liefern. Mehr zu der Möglichkeit, dass die Welt ein Traum sein könnte steht im Artikel zur Berkeley-Frage ↗

Hat die induktive Methode Bacons Grenzen?


Ja, es gilt heute als allgemein anerkannt, dass moralische Urteile, überhaupt wertsetzende Urteile, niemals über induktives Naturbeobachten erlangt werden könne. Die Tatsache, dass zum Beispiel die biologische Lebenswelt nach dem Prinzip Fressen-oder-gefressen-Werden funktioniert, lässt nicht den Schluss zu, dass dieses Prinzip (falls es gelten sollte) auch gut sein muss. Werturteile stehen außerhalb der Reichweite auch moderner naturwissenschaftlicher Methoden. Siehe dazu auch naturalistischer Fehlschluss ↗

Wie politisch waren Bacons Schriften?


Was heute recht harmlos und von rein akademischen Interesse klingt, war zu Bacons Zeiten potentiell lebensbedrohlich. Roger Bacon lebte in der Zeit von Galileo Galileo und Giordano Bruno. Beide wurden durch die damals sehr mächtige katholische Kirche der Ketzerei beschuldigt. Galilei drohte man mit der Folter, Bruno wurde für seine Ansichten zum Tode verurteilt und lebendig verbrannt. Beide, Galielei und Bruno standen Bacon gedanklich nahe. Siehe auch Galileo Galilei ↗

Fußnoten