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Materie


Physik


Basiswissen


Das Wort Materie ist sprachlich verwandt mit dem Wort Mutter. Die gedankliche Verbindung liegt in der Idee des Urstoffes, aus dem etwas entsteht. In der Philosophie meint Materie so viel wie die außerhalb des Bewusstseins existierenden Dinge. In der Physik verbindet man mit dem Begriff Materie oft bausteinartig kleine Dinge, aus denen sich die ganze Welt zusammensetzt. Der Begriff ist jedoch sehr problematisch.

Eingrenzung


Der Materiebegriff wird von Physikern nicht einheitlich verwendet. In dem meisten Fällen deckt er sich aber gut mit Alltagsvorstellung: Alles was Raum einnimmt und Masse hat kann man als Materie bezeichnen. Oft verbindet man damit auch die Idee kleinster Bausteine wie Elementarteilchen oder Atome. Das aber führt zu Problemen.

Beispiel: Goldkugel


Eine Goldkugel besteht aus Materie. Sie braucht soundsoviele cm³ Raum und hat eine eindeutige Masse von soundsovielen kg. Auch ein einzelnes Goldatom wäre in diesem Sinn Materie. Seine Masse macht sich zum Beispiel über Rückstoßeffekte bemerkbar. Dass ein Atom auch Raum einnimmt kann man auf modernsten Aufnahmen von Elektronenmikroskopen sehen. Problematisch wird es aber etwa bei einem Elektron. Man weiß nicht, ob ein Elektron eine Ausdehnung hat oder ein mathematischer Punkt ist. Siehe dazu Elektronendurchmesser ↗

Materie als eine Art Baustein oder Urstoff


Das Wort Materie wurde im 19ten Jahrhundert zunächst als Gegensatz zur Form gedacht[2][3][4] und immer auch mit einem Widerstand gegen eine Eindringung oder Verdrängung verbunden[3], oft auch als Gegensatz zu etwas Geistigem[4]. Eng verbunden mit dem Wort Materie war die Vorstellung von einem elementaren Stoff, aus dem alle anderen Dingen zusammgensetzt seien. 1856 steht in einem Lexikon zum damals aktuellen Forschungstand: "bis heute sind jedoch die Naturwissenschaften noch zu keiner Urmaterie vorgedrungen, sondern zu 64 Ur-Materien oder Grundstoffen der Körperwelt[4]". Das Lexikon verweist von dort dann auf das Stichworte Elemente und meint damit chemische Elemente ↗

Materie in der klassischen Physik: bis etwa 1905


Seit dem frühen 17ten Jahrhundert hat sich in der Naturphilosophie (Physik) der Gedanke immer weiter verbreitet, dass unsere Welt ganz aus kleinsten Materiebausteinen aufgebaut ist. Alle Gase, Flüssigkeiten und Feststoffe der belebten und unbelebten Welt würden sich demnach aus diesen Bausteinen zusammensetzen. In Analogie zur strengen Regelmäßigkeit der Planetenbewegungen am Himmel, glaubte man auch, dass die Materiebausteine ausschließlich einfachen Kraft- und Bewegungsgesetzen gehorchen. Ein Beispiel für so ein Gesetz wären die Formeln für einen elastischen oder inelastischen Stoß. In strenger Denk-Konsequenz gelangt man letztendlich zum Weltbild des "Materialismus": alles besteht nur aus Materie. Geistiges, wie etwa die Idee eines freien Willens, waren nur Folgeerscheinungen des ständigen Spieles der Materie. Dieses Weltbild dominierte die Wissenschaft bis etwa zur Jahrhundertwende um 1900. Manche Menschen waren fasziniert von der Idee, dass letztendlich der ganze Ablauf der Welt vorausberechenbar sein könnte. Andere sahen im Materialismus den Menschen zu einem bloßen Roboter reduziert. Ein berühmtes Sinnbild für den Materialismus ist der Laplace-Dämon ↗

Erste Zweifel: gibt es neben Materie andere Urdinge?


Schon Newton nahm an, dass die Wirkung der Schwerkraft (Gravitation) sich mit unendlicher Geschwindigkeit im Weltraum ausbreite. Es war aber völlig unklar, woher denn die Sonne etwa "wissen" solle, dass in ihrer Nähe eine Erde war und eine Anziehungskraft wirken muss. Woraus bestand der Raum zwischen den Himmelskörpern, sodass Kräfte übermittelt werden könnten? Im 19ten Jahrhundert entwickelte sich dann die Idee, dass zwischen den Materiebausteinen Kraftfelder wirken. Man sprach von elektrischen Felder und Gravitationsfeldern. Mit den Feldern tauchte die Frage aus, ob sie selbst Masse haben oder Raum beanspruchen. Sind sie bloß ein Denkkonstrukt oder existieren sie auf irgendeine Weise tatsächlich? Die Frage ist bis heute ungeklärt. Man gewöhnte sich wieder an den Gedanken, dass die Welt vielleicht nicht nur aus Materie besteht, sondern auch aus immateriellen Dingen.

Materie in der Quantenphysik


Ab etwa 1900 entdeckte man in einer Reihe von Versuchen dann das, was wir heute Atome, Elektronen und Protonen nennen. Diesen sehr kleinen Bausteinen war sicher Masse (messbar in kg) zuzuschreiben. Sie schienen auch eine Raumausdehnung zu haben, waren also damit eindeutig materiell. Man stellte sie sich als kleine Kügelchen oder sonstwie geformte Dinge vor, die sich stetig (ohne Sprüng) durch Raum und Zeit bewegen können. Aber auch dieses modellhaft Bild geriet bald ins Schwanken: Im sogenannten Doppelspaltexperiment schoss man Elektronen durch Spalten in einer Wand auf eine Detektorfläche. Die Verteilung, wo die Elektronen am Detektor ankamen, ließ sich aber in keinster Weise mit der Idee kleiner Materiebausteine herleiten. In diesem Versuch können sich die Elektronen unmöglich wie vernünftige Materie verhalten. Viel eher müssen sie gleichzeitig auch Welleneigenschaften haben. Sie müssten auf einen Schlag wissen, wie die Welt um sie herum auch in größerer Entfernung aussieht. Das alles führt zu vielen Widersprüchen, die heute meistens unbesprochen einfach stehen gelassen werden. Der Materiebegriff ist heute sehr unscharf. So spricht man auch von masse- oder raumloser Materie ohne aber näher darauf einzugehen, wie man sich das vorstellen sollte.

Materie in der Schulphysik


In der Schulphysik wird in den unteren Klassen meist stillschweigend ein klassisches Bild von Materie verwendet: Kugeln folgen den den Stoßgesetzen, Planeten bewegen sich gemäß Kepler, Elektronen fließen nach festen Formeln durch Leiter und so weiter. Spätestens in der Oberstufe aber tauchen dann Formeln auf, die etwa Protonen eine Wellenlänge zuordnen. Licht wird einerseits als Welle betrachtet, andererseits spricht man von Lichtteilchen, den Photonen. Teilchen- und Welleneigenschaften tauchen nebeneinander auf. Man muss akzeptieren, dass es kein anschauliches Modell mehr von Materie gibt. Es scheint so etwas wie Atome und noch kleinere Materieteilchen zu geben, sie verändern ihren Zustand aber oft so, als seien sie zwischendurch eher wellenartig gewesen. Die Wellen selbst geben dabei aber nur noch Wahrscheinlichkeiten an, wo man die Teilchen wann antreffen könnte. Die moderne Physik besteht in weiten Zügen aus der Mathematik von Wellen in Verbindung mit Wahrscheinlichkeiten.

Fußnoten


Karl Ernst Georges: Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch. Hannover und Leipzig 7910 (Nachdruck Darmstadt 1999), Sp. 1653. Online: http://www.zeno.org/nid/2000204529X