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Individualismus


Lebensziel


Basiswissen


Wo man Individualität als Eigenschaft von Menschen auffasst, bedeutet sie meist so viel Unabhängigkeit von anderen Menschen, die kreative Fähigkeit völlig Neuartiges hervozubringen, seinen „eigenen Weg“ zu gehen und zu ganz eigenen Werturteilen zu kommen. Rudolf Steiner fasste diesen Anspruch der Individualität im Jahr 1894 mit bemerkenswert aktuell klingenden Worten zusammen. Diese sind hier im Original zitiert und kurz kommentiert.

Originalzitat von Rudolf Steiner zum Individualismus


„Ich glaube einen Grundzug unseres Zeitalters richtig zu treffen, wenn ich sage: der Kultus des menschlichen Individuums strebt gegenwärtig dahin, Mittelpunkt aller Lebensinteressen zu werden. Mit Energie wird die Überwindung jeder wie immer gearteten Autorität erstrebt. Was gelten soll, muß seinen Ursprung in den Wurzeln der Individualität haben. Abgewiesen wird alles, was die volle Entfaltung der Kräfte des Einzelnen hemmt. „Ein jeglicher muß seinen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet,“ gilt nicht mehr für uns. Wir lassen uns keine Ideale aufdrängen; wir sind überzeugt, daß in jedem von uns etwas lebt, das edel ist und wert, zur Entwicklung zu kommen, wenn wir nur tief genug, bis in den Grund unseres Wesens, hinabzusteigen vermögen. Wir glauben nicht mehr daran, daß es einen Normalmenschen giebt, zu dem alle hinstreben sollen. Unsere Anschauung von der Vollkommenheit des Ganzen ist die, daß es auf der besonderen Vollkommenheit jedes einzelnen Individuums beruht. Nicht das, was jeder andere auch kann, wollen wir hervorbringen, sondern, was nach der Eigentümlichkeit unseres Wesens nur uns möglich ist, soll als unser Scherflein der Weltentwicklung einverleibt werden. Niemals wollten die Künstler weniger wissen von Normen und Regeln der Kunst als heute. Jeder behauptet ein Recht zu haben, das künstlerisch zu gestalten, was ihm eigen ist...“

Der Individualismus als Selbstkonkurrenz


Der Philosoph Rudolf Steiner formuliert hier einen denkbar absoluten Individualismus. Er muss zu einer seelischen Vereinsamung führen, wo ein Großteil der Menschen nach dieser Art von Individualsmus strebt: jeder wird seine Eigenart suchen und sich für die der anderen kaum interessieren. Jeder will Sonne sein aber niemand Planet. Alle wollen reden aber niemande will zuhören. Was hat man von seiner eigenen Individualität, wenn keine anderen da sind, um sie zu würdigen? Diese Frage berührt die tiefere Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft ↗

Der Individualismus als Selbstüberforderung


Nicht alle Menschen haben das Zeug dazu, wirklich gute Individualisten zu sein. Manchen fehlen die Ideen, andere fühlen sich wohler die Dinge so zu tun wie "man sie tut". Hinzu kommt, dass viele Gemeinschaften eher Konformität als zu viel Individualismus einfordern. Damit wird der Drang zum Individualismus auch zu einem dauernden Kampf gegen die Gruppe. Siehe dazu auch Gruppendenk ↗

Der Individualismus als verkannter Weltzweck


Der Individualismus kann auch dort ein zu Viel werden, wo er gegen einen Weltzweck ankämpft, der ihn letztendlich nur ausnutzt oder gar nicht würdigt. Dazu Steiner noch einmal: "Man muß sich der Idee als Herr gegenüberstellen, sonst gerät man unter ihre Knechtschaft."[1] Verschiedene Religionen, wie etwa der Buddhismus gehen so weit, die Idee eines eigenen Ich ganz aufzugeben, dieses als Illusion zu entlarven und sich davon zu befreien. Solche Denksysteme sind eine Warnung, dass das Streben nach Individualismus möglicherweise ein Irrweg ist und gerade das ganz gegensätzliche Gegenteil anzustreben ist. Siehe dazu auch Buddhismus ↗

Individualismus als evolutionäre Ausbeutung


Fasst man Menschen als biologisch-darwinistisch evoluierende Wesen auf, so kann man Individualität auch als eine Art Mutation auffassen, zumindest aber als gelebte Variation. Variation ist die Voraussetzung, dass eine darwinistisch gedachte Selektion wirksam werden. In einer solchen soziobiologischen Sicht, kann Individualismus zu einem reinen "Futter für die Selektion" werden. Der einzelne Mensch soll sich möglichst weit von der Norm entfernen, die Selektion wählt dann aus, wer davon etwas hat und wer nicht. Das Phänomen zeigt sich gut in einer Marktwirtschaft, wo Unternehmen und Individuen ständig aufgefordert sind, neue Ideen, Innovationen, hervorzubringen. Aber nur was am Ende am Markt besteht, wird honoriert. Siehe auch Soziobiologie ↗

Individualismus als Introversion


Der Psychiater Carl Gustav Jung charakterisierte Introversion unter anderem über einen starken Drang, allen Dingen etwas eigenen, etwas von sich hinzuzufügen. Im Übermaß, so Jung, sei dies jedoch schädich und bedarf dann einer Korrektur durch den Gegenpol, die Extraversion. Siehe auch Introversion ↗

Fußnoten