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Fremdwortparadoxon


Psychologie


Definition


Man benutzt aktiv Fremdworte, um schlau zu erscheinen, obwohl man anderen Leuten vorher vorwarf ebensolche Fremdworte zu benutzen. Das Phänomen kann man an Kindern zwischen der dritten und achten Schulklasse häufiger beobachten. Das Phänomen ist verwandt mit dem sogenannten Showmastereffekt.

Definition


es ist eine Beobachtung aus dem Lernen mit Kindern zwischen der zweiten und der achten Schulklasse: jüngere Kinder fragen, warum man schwierige Fremdwort benutzt, wenn es auch einfache deutsche Worte gibt. Ältere Kinder, etwa ab der Klasse 7 bis 8, meiden dann genau solche einfachen Worte von sich. Eine gängige Begründung ist, dass sie nicht schlau genug klingen. Das Paradoxon besteht darin, dass man selbst Handlungen annimmt, die man vorher aus guten Gründen abgelehnt hat, drastisch formuliert: man wechselt von der Opfer- in die Täterrolle.

Beispielhafte Worte zum Fremdwortparadoxon



Das Beispiel Pia


Der folgende Praxisfall stammt aus der Zeit zwischen 2012 und 2015. Eine jüngere Schülerin aus der Klasse 5 störte sich an Fremdworten im Mathematik-Unterricht: Addition für Plusrechnen, Orthogonal für rechtwinklig oder arithmetisches Mittel für Durchschnitt. Sie formulierte sehr deutlich ihre Ablehnung und brachte es mit einer Frage auf den Punkt "Warum müssen Erwachsene für alles so schwere Worte nehmen?" Dieselbe Schülerin wies jedoch später, in der achten Klasse, einfache Worte wie plusrechnen, dazutun oder Malzahl (für Faktor) zurück. In einem Gespräch schälte sich langsam das Motiv heraus: diese Worte klingen nicht "schlau". Die Fremdworte klingen viel "schlauer". Die Schülerin strahlte Freude aus, dass sie jetzt Fremdworte benutzen kann, die auch "die Erwachsenen" kennen. Dem Willen zur Benutzung von Fremdworten steht aber oft eine krasse Unkenntnis selbst vieler umgangssprachlichen Wendungen gegenüber. Ein Beispiel ist das stark kontextabhängige Wort senkrecht ↗

In der Oberstufe


In der Oberstufe beobachten wir seit seit Beginn unserer Arbeit in der Mathe-AC Lernwerkstatt Mathematik in Aachen (2010), dass Schüler der Oberstufe rein sprachliche Formulierungen, insbesondere in Umgangssprache, nicht für mathematisch halten. Typisch ist die Frage, ob man dann in einer Arbeit dafür "Punkte abgezogen bekommt". Nur was in mathematischer Symbolik geschrieben ist, gilt auch als "echte Mathematik". Siehe auch Rechnen und Sprache ↗

Sind Fremdworte wirklich der bessere Stil?


Paradox ist, dass die meisten Schüler Forderungen stellen, die a) zu einer deutlichen Selbstüberforderung und oft zu Denkblockaden führen, und b) Fremdworte und spezialiserte Symbolik nicht notwendig für gute Mathematik sind. So sind viele Schriften anerkannt herausragender Mathematiker oder Physiker oft ganz in Umgangssprache und ohne besondere Symbole geschrieben (Russell, Penrose, Einstein, Exner). Siehe als ein Beispiel dafür das Buch Computerdenken ↗

Was ist der Showmastereffekt?


Man vermittelt als Lehrer den Stoff gezielt so, dass nur Personen mit einer hohen Auffassungsgabe oder erfolgreiche Autodidakten eine Chance haben, ihn zu verstehen. Dadurch ensteht der Eindruck, man selbst gehöre als Lehrer kleinen Gruppe besonders intelligenter Personen an. Die Nutzung vieler Fremdworte ist dabei eines von mehreren wirksamen Stilmittel. Mehr dazu unter Showmastereffekt ↗