R


Dyspraxie


Beispiele


Basiswissen


Als Dyspraxie bezeichnet man eine auffällige Störung von Bewegungen und damit verbundenen Handlungen[1]. Man unterscheidet zwei Arten. Bei der motorischen Dyspraxie ist nur die Ausführung der Bewegung beeinträchtigt[2]. Bei der ideatorischen Dyspraxie können sich die betroffenen die Abläufe selbst nicht gut vorstellen[3]. Hier stehen einige Beispiele aus einer Lernwerkstatt in Aachen.

Junge, 17 Jahre, Kreisumfang


2024: um einen Holzkreis, etwa so groß wie eine Handfläche lag angeschmiegt eine weiche Metallkette. Daneben lag ein Lineal. Es war dem Jungen auch mit beliebig langer Zeit völlig unklar, wie man damit den Kreisumfang messen könnte. Die Rechnung vom Kreisdurchmesser zum Kreisumfang hingegen gelang mühelos.

Junge, 17 Jahre, Würfelseiten


2024: wie viele Seiten hat ein Würfel, ein Junge im vorletzten Jahr vor dem Abitur nannte mit einem normalen Spielwürfel als Antworten etwa 8 Seiten oder auch 12. Wir hatten dabei genau geklärt was eine Seite meint und der Junge konnte das auch richtig am Würfel zeigen.

Junge, 15 Jahre, Kugeldurchmesser


2024: von einem aufblasbaren Globus sollte der Durchmesser bestimmt werden. Der Junge nahm ein Maßband und legte die auf der Kugeloberfläche vom Nord- bis zum Südpol. Er hielt diese Strecke auch dann noch für den Durchmesser, als ich ihm anhand einer zerlegbaren Plexiglaskugel den Durchmesser mit einem Holzstab zeigt. Der Junge sah gleichzeitig den Durchmesser als Holzstab und ein auf die Oberfläche geklebtes Band vom Nord- bis zum Südpol. Er hielt beim gleichzeitigen Anblick dieser zwei Strecken diese Strecken für gleich lang. Wir legten die zwei Strecken dann nebeneinander und erkannten, dass die Strecke entlang der Oberfläche sehr viel länger war. Dennoch glaubte der Junge, dass die beiden Strecken in etwa gleich lang sind und eigentlich beide Strecken den Durchmesser geben msüsten. Der Junge hat auch eine recht krakelige Handschrift und stottert. Die Mathematik-Noten des Jungen liegen im Bereich 2 bis 3. Er ist fleißig und sehr interessiert.

Junge, 17 Jahre, Rechtwinkligkeit


2024: ziel war es, ein rechtwinkliges Dreieck mit einem Flächeninhalt von genau 10 cm² zu zeichnen. Dabei kam auch die Höhe eines Dreiecks in Spiel. Der Junge erkannte auch nach mehrmaligem Besprechen nicht sicher, dass ein rechtwinkliges Dreieck darüber definiert ist, dass ein der drei Innenwinkel ein 90°-Winkel ist. Er nannte zum Beispiel ein (nicht rechtwinkliges) Dreieck rechtwinklig, weil in einer Skizze ein rechter Winkel in Verbindung mit der Höhe zu sehen war, der aber kein Innenwinkel des Dreiecks ist. Die Mathematik-Noten des Jungen (vorletztes Jahr vor dem Abitur) liegen bei 2 bis 3. Der Junge bezeichnet sich selbst als ausschießlich extrinsisch motiviert. Er hat kein Interesse an Mathematik selbst ist aber gleichzeitig sehr strebsam und fleißig.

Junge, 16 Jahre, Sandgefäße


2020: ein Junge, etwa 16 Jahre alt, wollte im Rahmen eines Experimentes die Oberfläche von Sand in einem Gefäß glätten. Der Sand war in dem Gefäß so hoch aufgeschüttet, dass er an mehreren Stellen über die Höhe des Gefäßrandes hinaus ragte. Die meisten Kinder würden den Sand mit einem Stift oder Lineal abstreifen. Damit wäre am Ende des Gefäß randvoll mit Sand gefüllt. Der Junge begann aber stattdessen mit einem kleinen Spielzeuglöffel den Sand im Gefäß so umzuschichten, dass eine möglichst flache Oberfläche entsteht. Der gleiche Junge füllte große Messbecher auch mit kleinen Löffeln aufwändig mit Sand voll, wo andere Kinder mit dem Becher einfach ein oder zweimal durch einen großen Sandbehälter fuhren und den Messbecher sozusagen wie eine Baggerschaufel füllten. Der Junge war aber gleichzeitig ein sehr guter Beobachter. Er erkannte bei Versuchen Details, die mir oft entgingen. Er war offen dafür, praktische Tätigkeiten wie das Auffüllen von Bechern in Varianten zu diskutieren. Er entwickelte im Gespräch auch gute Ideen. Generell auffällig war hier die Langsamkeit, die Entkopplung von denkerischem Tun und praktischem Handeln sowie die sehr gute Beobachtungsgabe. Auffällig - und in Übereinstimmung mit der Literatur zu Kindern mit einer Dyspraxie - war eine maßlose Selbsüberschätzung der eigenen Fähigkeiten (Top-Programmierer werden, das Dreifache des durchschnittlichen Monatsgehaltes verdienen etc.).

Junge, 13 Jahre, Spielzeugeisenbahn


2017: ein Junge sollte die großen Schienen einer Duplo-Eisenbahn zu einer Art langem Oval zusammenlegen. Der mittlere Teil des "Ovals" sollte durch je drei gerade Schienen gebildet werden. Den linken und rechten Rand sollten zwei Halbkreise bilden. Die meisten Kindern bauen das intuitiv sofort richtig zusammen. Der betroffene Junge hatte dabei aber große Schwierigkeiten. Er baute Kurvenstücke an Stellen ein, die gerade sein sollten und umgekehrt. Der gleiche Junge beantwortete die Frage, wie viele 0,2er in der 400 enthalten sind, indem er schriftlich von der 400 in 0,2er Schritten herunterzählte. Am Ende standen auf einem große Schreibtisch aus Glas tatsächlich 400 einzelne Rechenschritte. Auffällig bei dem Jungen war die völlige Phantasielosigkeit beim Ersinnen von Lösungswegen. Dies passt gut zu beschriebenen Problemen von Kindern mit Dyspraxie, Handlungen zu planen.

Dyspraxie in einer Lernwerkstatt


Die zwei Kinder - sowie einige mehr - hatten große Freude daran praktisch zu arbeiten. Sie genoßen es beide, wenn man vor der Tätigkeit verschiedene Ideen diskutierte, wie man die Arbeitem am besten ausführen könnte. Dabei war es wichtig, dass kein Zeitdruck aufkam. Durch häufige Wiederholung ähnlicher - aber nicht immer gleicher - Aufgabenstellungen, entwickelten die Kinder Routinen, die sie dann auch auf andere Aufgaben übertragen. Der zuerst beschriebe Junge etwa konnte nach gut vier Monaten beliebig geformte Hohlgefäße (Halbkugeln, Pyramiden, Kegel, Zylinder etc.) vom Volumen her abschätzen (oft sehr genau), dann das Volumen mit einer Formelsammlung berechnen und am Ende mit dem Auffüllen von Sand praktisch überprüfen. Nach einiger Zeit wechselte er auch mühelos zwischen der Angabe von Millilitern, Kubikzentimetern und Litern. Erlernte Routinen und die Verbindung von Praxis und Theorie, von Tun und Reflexion, kamen gut an. Siehe auch Lernwerkstatt ↗

Fußnoten